Ehemals unabhängige Berichterstattung vom NSU-Prozess. Gegen Rechtsextremismus, Größenwahn und Verlogenheit in der Gesellschaft. Ein Angebot für alle Antifaschistinnen und Antifaschisten. (jpo)
Wie lange noch? Wie lange will der Senat seine Haltung beibehalten? Seit fast zwei Jahren wird im Saal 101 am OLG München versucht, den Angeklagten ihre Beteiligung am NSU-Terror nachzuweisen. Seit ebenfalls zwei Jahren können Prozessbeobachter ein bemerkenswertes Phänomen beobachten: Es wird gelogen. Es wird dermaßen hemmungslos gelogen, dass sich die Balken biegen.
Szene-Jargon: „OLG-Stadl“
Frustrierte Journalisten, frustrierte Nebenklage.
Ist wieder ein lügender Nazi-Zeuge vorgeladen und führt das Gericht mit angeblichen Erinnerungslücken und grotesken Falschaussagen vor, dann lässt sich ein weiteres Phänomen beobachten:
Die Diskussionen in den kurzen Verhandlungspausen oder am Ende eines Prozesstages zwischen Prozessbeobachtern, der Presse und den Anwälten der Nebenklage lassen eines deutlich erkennen: Es hat sich Frust ausgebreitet. Wurden anfangs noch Stimmen laut, dass Götzl dieser Lügerei endlich einen Riegel vorschieben solle, so hört man in den letzten Tagen vorwiegend sarkastische Bemerkungen.
Der 32. Prozesstag am 06. August 2013 ist zugleich der letzte Verhandlungstag vor der Sommerpause, die mit dem 05. September 2013 endet. Am vorletzten Verhandlungstag war der allgemeine Tenor, dass am letzten Verhandlung vor der großen Pause das Interesse der Medien und Besucher sich in einem überschaubaren Rahmen halten wird, da lediglich ein Verhandlungstag angesetzt war und nicht wie sonst üblich drei Tage.
Ein Prozessbeobachter im Stress.
Aber weit gefehlt: Schon bei der Anfahrt über die Nymphenburger Straße in Richtung OLG München, war die geballte Präsenz der Medien schon von Weitem sichtbar. Satellitenübertragungswägen der deutschen und der internationalen Fernsehanstalten ohne Ende. Auch das ZDF hatte wieder das gigantisch große mobile Fernsehstudio aufgebaut. Gerade an diesem Tag hatte ich mich extra früh auf den Weg gemacht, um keine Zeugenaussage zu verpassen, dies hatte ich einem Kollegen aus Berlin versprochen, der sich die weite und teure Anreise wegen einem einzigen Tag ersparen wollte.
NSU-Prozess: ZDF-Sendezentrale auf der Nymphenburger Str. Foto: J. Pohl
31°C, kein Parkplatz in Sicht und die Uhr tickt.
Jeder Prozesstag beginnt um 09:30 Uhr. Um Punkt 09:00 bin ich mit dem Auto am OLG München angekommen, der Platz vor dem Haupteingang ist mit Medienvertretern und Prozessbeobachtern vollgepackt. Vor dem Eingang hat sich bereits eine lange Schlange gebildet. Mein Autothermometer zeigt 31°C Außentemperatur an. Die anschließende Parkplatzsuche nimmt normalerweise keine 10 Minuten in Anspruch. Aber nicht an diesem Tag. Heute sind besonders viele Einsatzwägen rund um das Gelände geparkt, die Pressevertreter belegen alle Parkplätze, die sonst frei sind.
Ein großes Opfer für die Preußen …
Schließlich finde ich doch noch einen Parkplatz. Manchmal muss man seine Grundüberzeugung über den Haufen werden, wenn es einer wichtigen Sache dient: Denn ich parke direkt vor der CSU-Parteizentrale. Hätte ich nicht versprochen, den Kollegen aus Berlin mit Informationen aus erster Hand zu versorgen, wäre ich vielleicht noch einmal um den Block gefahren. Aber was tut man nicht alles, um die bayerisch-preußischen Beziehungen zu pflegen?
Ohne Espresso geht nix. Auch wenn er von Franz-Josef (Strauß) ist.
Ohne mir vorher einen doppelten Espresso zu gönnen, habe ich noch nie einen Verhandlungstag besucht. Gleich neben meinem Parkplatz befindet sich ein gerade eben geöffnetes Restaurant. Die Wirtin hat mir einen vorzüglich gebrauten doppelten Espresso zum Mitnehmen gemacht. Offenbar hat sie gemerkt, dass ich in großer Eile bin. Als ich meinen Geldbeutel zückte, meinte sie nur: „Passt scho!“ Ich hab mich artig dafür bedankt, aber dennoch gleich klargestellt, dass ich trotzdem die CSU nicht wählen werde. Der Name des Restaurants neben der CSU-Parteizentrale lautet übrigens „Franz-Josef“. Mit dem Gedanken, dass unter Strauß vielleicht doch nicht alles schlecht war, begebe ich mit Espresso im Laufschritt Richtung Gerichtsgebäude.
35°C, eine lange Schlange und die Uhr tickt weiter…
Die Temperatur liegt jetzt mindestens bei 35°C. Um exakt 09:25 stehe ich vor dem Eingang für Prozessbeobachter am OLG München. In der Schlage vor mir stehen etwa 20 Personen, der freundliche Justizbeamte informiert uns, dass die Besuchertribüne inklusive Pressebereich bereits aus allen Nähten platzt. 10 Personen geben nach dieser Information sofort auf und verlassen das Gelände.
„Die wollten nur Zschäpe gucken.“
Warten … „36 Grad und es wird immer heißer“ singt ein sichtlich gut gelaunter Justizbeamter. Und nein, er wollte uns nicht damit ärgern. Weitere 5 Personen werden eingelassen. „Da sind 5 raus, die wollten nur Zschäpe gucken“, sagt der Beamte.
Wir restlichen 5 werden jetzt auch eingelassen, müssen aber hinter der Sicherheitskontrolle warten, bis jemand die Tribüne verlässt. „Wir wollen ja nicht, dass Sie da draußen gegrillt werden“, meint der Beamte. Der BR-Korrespondent und 2 weitere akkreditierte Journalisten mit dem begehrten gelben Ausweis verlassen den Saal. Mit einem weiteren Prozessbeobachter warte ich geduldig auf Einlass. Plötzlich kommt ein Pärchen mit ausgeprägtem sächsischen Dialekt die Treppe von der Besuchertribüne herunter, um die Toilette aufzusuchen. Ruck-Zuck öffnet ein Justizbeamter grinsend die Schranke zur Treppe: „Bitteschön! Wieder zwei Plätze frei geworden.“
Ein Logenplatz, der es in sich hat.
Auf der Tribüne angekommen, werde ich und der andere Prozessbeobachter von den oben diensthabenden Beamten zu den zwei freien Plätzen begleitet. Erste Reihe, genau in der Mitte! Mein Sitznachbar an der rechten Seite mustert mich missbilligend, ich ignoriere ihn und beginne mit meinen Notizen der 2. Zeugenvernehmung an diesem Prozesstag, die gerade in diesem Moment begonnen hat. Den ersten Zeugen habe ich leider verpasst.
Der Mord an Ismail Yaşar.
Die Aufzeichnungen beginnen also mit der Vernehmung der Zeugin Polizeiobermeisterin Sindy J. zum Mord an Ismail Yaşar. Yaşar wurde am 09. Juni 2005 in seinem Döner-Imbiss in der Scharrerstraße Nürnberg durch 5 Schüsse gegen 09:50 Uhr ermordet. Zum Tatzeitpunkt war Yaşar 50 Jahre alt. Beim Mord an Ismail Yaşar handelt es sich – nach dem heutigen offiziellen Ermittlungsstand – um den 6. Mordanschlag des NSU. Als dringend tatverdächtig gelten auch hier Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt.
Die Vernehmung der Polizeiobermeisterin J.
Nach der üblichen Zeugenbelehrung durch Richter Götzl fordert dieser die Zeugin J. auf zuerst frei über ihre Erinnerungen zu berichten. Die Polizeiobermeisterin sei an diesem Tag mit einem Kollegen auf Streifenfahrt gewesen, als sie informiert wurde, dass ein Mann in einer Döner-Bude in der Scharrerstraße ein Mann auf dem Boden liege. Der Mann sei blutüberströmt, so zitiert die Zeugin die erhaltene Information weiter.
Wir waren die ersten Polizisten am Tatort.
Mit ihrem Streifenwagen wären die Zeugin und ihr Kollege in der Nähe des Tatorts gewesen und seien deswegen die ersten Polizisten am Tatort gewesen, so die Zeugin J. Erst hätte sie sich selbst in den Imbiss hinein gebeugt und so das blutüberströmte Opfer gesehen. Da die Tür nicht versperrt gewesen sei, wäre ihr Kollege in den Döner-Imbiss hineingegangen. Die Zeugin wäre selbst nicht in den Imbiss gegangen. Kurz danach wäre der Notarzt gekommen und hätte nach der Untersuchung des Opfers gesagt, dass Ismail Yaşar „Ex“ ist.
Thomas Gerlach ist einer der aktivsten Neonazis aus Thüringen. Er leugnet seine ultrarechte Einstellung nicht, sondern er schildert sein krudes Weltbild in geradezu unerträglicher Art und Weise. Gerlach war unter anderem Mitglied beim Thüringer Heimatschutz (THS), also der Organisation aus der vermutlich der NSU hervorgegangen ist. Zudem werden Gerlach engste Verbindungen zu den rechtsextremen und gewaltbereiten Hammerskins nachgesagt. Er sagt am 10.07.2014 bereits zum 2. Mal aus. Seine 1. Vernehmung am 01.07.2014 wurde vom Vorsitzenden Richter Manfred Götzl abrupt unterbrochen.
Gleich nach der Begrüßung um 13:10 Uhr erinnert Richter Götzl den Zeugen Thomas Gerlach an die Belehrungen zu einem möglichen Aussageverweigerungsrecht und zur Anwendung von Ordnungsmitteln aus der letzten Vernehmung vom 01.07.2014.
Götzl: „Erinnern Sie sich noch daran?“
Gerlach: „Ja.“
Götzl: „Sind Ihnen Personen aus der Schweiz oder Portugal bekannt, die Waffen besorgen können?“
Gerlach: „Ich kenne Leute aus der Schweiz und Portugal. Ob die eine Waffe besorgen können? Ich weiß es nicht.“
Götzl: „Ich frag nochmal: Personen, die Waffen besorgen können?“
Gerlach: „Nein.“
Götzl: „Haben Sie selbst Waffen beschafft? In dem Zusammenhang belehre ich Sie nochmals nach § 55 StPO, dass Sie auf Fragen, die Sie selbst belasten könnten, nicht antworten müssen.“
Gerlach: „Nein.“
Götzl: „Zu den Hammerskins: Kennen Sie das Logo der Hammerskins?“
Gerlach: „Ich werde zu den Hammerskins nichts sagen. So wie ich es letztes Mal hier auch gesagt habe.“
Götzl: „Gar nichts ..?“
Unterstützung für Gerlach durch Wohlleben-Verteidigung?
Wohlleben-Verteidiger RA Klemke springt Gerlach mit seiner Wortmeldung bei: „Der Verteidigung Wohlleben ist bekannt, dass es 2003 ein Ermittlungsverfahren gegen das „Chapter Sachsen“ der Hammerskins wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung nach § 129 StGB, gegeben hat. Es gab da auch Hausdurchsuchungen bei dem Zeugen. Wir sollten erst prüfen, ob das Verfahren noch bei der Staatsanwaltschaft Dresden anhängig ist.“
Mit diesem Einwand will RA Klemke dem Zeugen Thomas Gerlach offenkundig die Möglichkeit eröffnen, sich auf § 55 StPO zu berufen. So könnte sich Gerlach problemlos weigern, Fragen zu den Hammerskins zu beantworten. Allerdings nur dann, wenn dieses von RA Klemke ins Spiel gebrachte Verfahren noch nicht eingestellt ist. RA Klemke lässt es sich nicht nehmen, mit einer gewissen Süffisanz seine Gesinnung darzustellen und schiebt folgendes Statement hinterher: „Gegen Rechts wird ja in letzter Zeit öfters ermittelt.“
Richter Götzl lässt sich nicht provozieren und fragt betont sachlich bei RA Klemke nach: „Ja, haben Sie denn Kenntnisse dazu?“
RA Klemke: „Nein.“
Götzl: (An Gerlach gerichtet) „Und Sie?“
Thomas Gerlach (li.) am 01.07.14 – Foto: J.Pohl
Gerlach: „Es gab mal ne Hausdurchsuchung, es wurde schon ermittelt. Glaube, ich hab keine Einstellung bekommen.“
Götzl: „Wurde gegen Sie ermittelt?“
Gerlach: „Ja.“
Götzl: „Wann?
Gerlach: „2003“
Götzl: „Und keine Einstellung ..?“
Gerlach: „Nein.“
Ratlosigkeit im Senat: Themenwechsel
Es folgt eine lange Pause. Richter Götzl berät sich mit den übrigen Mitgliedern des Senats. Im Saal herrscht absolute Stille.
Götzl: „Anderes Thema: War Mundlos mal in der Schweiz?“
Gerlach: „Diese Person war mir damals nicht bekannt.“
Götzl: „Man kann auch Informationen haben, ohne dass man jemanden kennt.“
Gerlach: „Nö.“
In diesem Moment klingelt das Handy der Eminger-Verteidigung. Götzl weist Emingers Verteidiger in scharfem Ton zurecht, dieser braucht eine gefühlte Ewigkeit, um sein Handy zum Schweigen zu bringen.
Götzl: „Nochmal: Haben Sie diesbezüglich was von Mundlos mitbekommen?“
Gerlach: „Nein. Hab ich nicht.“
Wieder wechselt Richter Götzl das Thema: „Haben Sie jemals Daten von Mandy Struck (Anm.: Ex-Freundin) weiter gegeben?
Gerlach: „Nein.“
Ein Neonazi kämpft gegen den drohenden Volkstod
Götzl: „Zu Ihrer politischen Einstellung: Stehen Sie dazu, Menschen zu vertreiben? Oder Sie zu vernichten?“
Gerlach: „Nein.“
Götzl: „Zu keinem Zeitpunkt?“
Gerlach: „Zu keinem Zeitpunkt.“
Götzl: „Sagt Ihnen der Begriff ‚Volkstod‘ etwas?“
Gerlach: „Ja. Das hat die nationalen Kreise verbunden. Hat damit zu tun, dass das deutsche Volk durch eine zu niedrige Geburtenrate ausstirbt. Die Einwanderer haben ein hohe Geburtenrate.
Götzl: „Und wie stehen Sie dazu?“
Gerlach: „Unser Ziel war es, den Volkstod aufzuhalten. Durch Begrenzung von Zuwanderung, gezielte Rückführung von Ausländern und die Geburtenrate von Deutschen zu erhöhen. Durch Unterstützung von deutschen Firmen, dass mehr Kinder wieder machbar sind. Und durch finanzielle Unterstützung.“
Götzl: „Was haben Sie da persönlich unternommen?“
Gerlach: „Die ‚Nationale Bewegung‘ ist nicht in der Lage Gesetze zu geben. Es blieb nur Propaganda, um den Volkstod aufzuhalten.“
Götzl: „Wie haben Sie da mitgewirkt?“
Gerlach: „Durch viele Gruppierungen. Eben durch regionale und ‚Freie Netze‘. In einer Region auch durch den KDS (Kampfbund Deutscher Sozialisten) oder durch die NPD.“
Götzl: „Sind Sie Mitglied der NPD?“
Gerlach: „Nein.“
Götzl: „Und sonstige Gruppen?“
Gerlach: „Jede Kameradschaft arbeitet daran, um dies zu erreichen. Das ist das Hauptziel.“
Götzl: „Und Sie? Kameradschaft?“
Gerlach: „Nationale Sozialisten Altenburger Land“
André Eminger – Foto: J.Pohl
Götzl: „Kennen Sie André Eminger?“
Gerlach: „Kenn ich nicht.“
Götzl: „Und Maik Eminger?“
Gerlach: „Auch nicht. Nur aus der Presse.“
Götzl: „Ja, gab es denn vielleicht mal Gespräche ..?“
Gerlach: „Nicht bewusst.“
Götzl: (zeigt auf André Eminger) „Er sitzt da. Schauen Sie ihn halt an.“
Gerlach blickt kurz zu Eminger und schüttelt den Kopf.
Götzl: „War André Eminger mal Gesprächsthema?“
Gerlach: „Nach 2011. Nur von Presse. Hab mich nicht bewusst über ihn mit irgendjemand unterhalten.“
Die Hammerskins gingen ihm über alles!
Richter Götzl konfrontiert Gerlach mit einer Aussage von Mandy Struck aus einer Vernehmung durch das BKA vom 30.12.2011:
„[Die] Kameradschaft Nationale Sozialisten Altenburger Land im Jahr 2004 gegründet. Da war er dabei und das habe ich noch mitbekommen.“
„Ich habe gewusst, dass er als Redner und Ordner bei den Montagsdemos [in Altenburg] fungierte.“
„Fest der Völker hat er organisiert und seine Hammerskins. Die gingen ihm über alles. Es ging darum Zellen zu bilden in ganz Mitteldeutschland. Das man überall jemanden sitzen hat, der gut reden kann um halt wieder Leute auszubilden, die eigenständig arbeiten können. So dass man überall Leute hat, wenn eine Aktion startet […].“
Götzl: „Was sagen Sie zu Zellen?“
Gerlach: „Das ist ihre (Anm.: Mandy Strucks) Wortwahl. Wir haben das schon angestrebt. Aber nicht als Zellen. Jeder sollte seine eigenen Redner haben, eigene Infrastruktur. Wenn welche Verluste haben, dass man weiterarbeiten kann. Ich nenne das nicht ‚Zelle‘, sondern ‚Aktionsgruppen‘.
Götzl: „Haben Sie eine Zelle mit Struck betrieben?“
Gerlach: „Glaub ich nicht. Zelle war eher eine kleine Gruppe.“
Götzl: „Wie weit haben Sie ihr Konzept verwirklicht?“
Gerlach: „Bis etwa 2009/2010 erfolgreich. Dann ist es im Sande stecken geblieben.
Götzl: „Wie hat man sich genannt?“
Gerlach: „Freies Netz.“
Götzl: „Welche Rolle hat da Gewalt gespielt?“
Gerlach: „Gewalt hat da keine Rolle gespielt, ist nicht zielführend. Auch Gewalt gegen Ausländer ist nicht zielführend.
Götzl: „Und bei den anderen?“
Gerlach: „Ich kann nicht in die Köpfe anderer gucken. Wir haben Gewalt immer abgelehnt.“
Götzl: „Wir ..?“
Gerlach: „Die, mit denen ich zusammen gearbeitet habe. Der Wohlleben und der Kapke.“
Götzl: „Und? Weitere ..?“
Gerlach: „Fallen mir spontan keine weiteren ein.“
Götzl: „Ja, jetzt überlegen Sie mal, Sie haben …“
Gerlach: (unterbricht Götzl) „Keine.“
Götzl: „Sie haben ja schon mit Schwung angesetzt.“
Gerlach: „…“
Götzl: „Und Altenburg?“
Gerlach: „Ich.“
Götzl: „Alleine?“
Gerlach: „Andere kenne ich nicht.“
Götzl: (spürbar verärgert) „…“
Bedrohliche Stille im Gerichtssaal –
Gerlach: Der letzte aufrechte Ritter der Tafelrunde?
Gerlach: „Sie wollen von mir Namen wissen, die mit mir aktiv waren?
Götzl: (in deutlich lauterem Tonfall): „Ja!“
Gerlach: „Sag ich nicht.“
– Stille –
Götzl: „Warum?“
Gerlach: „Ich hab den Prozess hier verfolgt. Die so genannte Nebenklage quatscht Informationen an die Antifa weiter. Wenn ich die nennen würde, dann sind die Repressalien ausgesetzt. Auch die Bundesanwaltschaft hat Informationen an die Presse verteilt.“
Götzl: „…“
Gerlach: „Es sagen mir Leute, sie laufen Gefahr wegen Antifa-Gruppen ihre Arbeit zu verlieren.“
Götzl: „Da wollen Sie auch nichts sagen? Der § 55 StPO gibt Ihnen hier kein Auskunftsverweigerungsrecht“
Gerlach: „Das ist mir bewusst. Ich sehe auch den Konflikt zwischen dem Gericht und mir. Das kann ich nicht mit meiner Moral und meinem Wertegefühl vereinbaren, dass Leute Arbeit verlieren weil das dem Fernsehen und der Presse gesagt wird. Auch wenn ich dafür eine Strafe bekomme.“
Götzl: „Ordnungsmittel! Wir stellen das erst einmal zurück. Ihnen ist das ja bewusst.“
Gerlach: „Ja.“
Götzl: „Hammerskins?“
Gerlach: „Werde ich nichts dazu sagen. Ich weiß, wie die Antifa funktioniert. Ich weiß, wie die Nebenklage Infos verbreitet. Wenn ich Namen aus Altenburg nenne, dann gibt es Schlägereien usw.. Ist mir bewusst, dass ich Strafe kriegen kann.
Götzl: „Was wissen Sie über den ‚Führerlosen Widerstand‘?“
Gerlach: „Da gibt es ein Schreiben aus den 90gern. Für mich bedeutet das die losen Gruppen, die zusammenarbeiten.“
Götzl: „Und deren Einfluss auf ihre politische Arbeit?“
Gerlach: „Gruppen waren schon irgendwie organisiert. Haben uns abgewechselt. Zum Beispiel Jena mit Altenburg und so.“
Götzl: „Wann haben Sie erstmals den Begriff ‚NSU‘ gehört?“
Gerlach: „2011. Durch die Presse.“
Götzl: „Und zuvor?“
Gerlach: „Nein.“
Götzl: „Der Begriff ‚Braunes Haus’“?
Gerlach: „Ja. Wurde intern verwendet.“
Götzl: „Und Ihr Spitzname? Woher ..?“
Gerlach: „Überall verwendet.“
Götzl: „Wie oft hatten Sie Kontakte zu Struck?“
Gerlach: „Als Beziehung zu Ende war, nur einmal in Halbe.“
Das falsche Spiel von Klemke
Götzl: (An RA Klemke gerichtet) „Haben Sie zufällig das Aktenzeichen des Ermittlungsverfahren:“
RA Klemke: „Nein.“
RA Narin – Foto: J. Pohl
RA Narin: „Herr Vorsitzender, ich hab es möglicherweise.“ (Nennt Aktenzeichen) „Das war ein 129er Verfahren, wurde 2005 eingestellt. (Anm.: § 129 StGB – Bildung krimineller Vereinigungen)
Richter Götzl bittet Gerlach nach vorne zum Richtertisch, es werden Fotos in Augenschein genommen und für alle sichtbar auf die Leinwände projiziert. Es handelt sich um Gruppenaufnahmen mit Hammerskins.
Götzl: „Wo sind diese Fotos entstanden?“
Gerlach: Wo die entstanden sind, will ich nicht sagen. Zu den Personen sag ich auch nichts.“
Götzl: „Warum?“
Gerlach wiederholt beinahe wortwörtlich seine Aussage zu dieser von Richter Götzl schon mehrfach gestellten Frage. Götzl wendet sich merklich genervt von Gerlach ab und versucht, nähere Informationen zum Gerücht, dass ein Ermittlungsverfahren gegen Gerlach mit vermutetem Bezug zur Thematik Hammerskins im Gange ist, zu erhalten. RA Klemke hatte dieses Gerücht gleich zu Beginn der Vernehmung geschickt platziert. Im Laufe dieser kurzen, aber heftigen Diskussion erklärt sich GBA Diemer bereit zu versuchen, Fakten dazu von der Staatsanwaltschaft Dresden zu erhalten. OStA Weingarten verlässt den Saal, vermutlich um den Auftrag von Diemer umzusetzen.
RAin Lunnebach von der Nebenklage versucht eine Frage, die genau zur richtigen Zeit käme, zu stellen: „Hatte der Zeuge Gerlach vor kurzem Kontakt zu RA Klemke?“ Götzl wiegelt die Frage per Handstreich ab: „Wenn Sie dran sind, Frau Rechtsanwältin!“
Richter Götzl befragt Gerlach zu seinen privaten, beruflichen und finanziellen Verhältnissen. Ein sicheres Zeichen dafür, dass die Verhängung eines Ordnungsgeldes droht. Gerlach gibt bereitwillig Auskunft.
Götzl: (An GBA Diemer gerichtet) „Der Herr Weingarten ..?“
GBA Diemer Foto: J.Pohl
Diemer: „Versucht in Sachen Ermittlungsverfahren zu klären. Weiß nicht wie lange das dauert.“
Ein wahres Fragenfeuerwerk von RA Scharmer beginnt
Das Fragerecht geht an die Nebenklage. RA Scharmer beginnt mit der Befragung: „Haben Sie den Prozess-Auftakt hier als Tag der Schande bezeichnet?“
Gerlach: „Ja. So wie der Prozess hier läuft, ist das eine Schande.“
RA Scharmer: „Haben Sie einen Twitter-Account unter dem Namen ‚Ace_79‘?“
RA Scharmer lässt einen per Screenshot gesicherten Tweet vom 06.05.2013 von Gerlachs Twitter-Account zeigen. Neben „Tag der Schande“ findet sich hier auch der Begriff „Affentheater“.
Screenshot: Tweet vom 06.05.2013
Gerlach: „Prozesse wie diese bringen ein ’seltsames Rechtssystem‘ zutage.“
RA Scharmer: „Mit ‚Affentheater‘ meinen Sie wen ..?“
Gerlach: „Na so halt …“
Screenshot: Tweet vom 03.05.2013
RA Scharmer: „Meinen Sie auch das Gericht?“
Gerlach: „Keine Personen. Auch keinen Richter.“
Ein weiterer Screenshot von einem Tweet, den Gerlach kurz nach seiner Einvernahme am 01.07.2014 geschrieben hatte: „[…] Die Tafelrunde ist entehrt, wenn ein falscher ihr angehört. […]“
Screenshot: Tweet vom 01.07.2014
Gerlach: „Ich wusste ja, dass Sie das beobachten und dass das Thema wird. Ist eben mein Fazit des Tages.“
RA Scharmer: „Was meinen Sie damit?“
Gerlach: „So, wie es da steht. Fand das Zitat schön und passend. Will nicht verantwortlich sein, dass Leuten Nachteile entstehen.“
RA Scharmer: „Tafelrunde? Wer ist da gemeint?“
Gerlach: „Niemand. Mein Verhalten.“
RA Scharmer: „Wertegefühl?“
Gerlach: „Ja. Ich werde es nochmal erläutern.“ Im Folgenden schwurbelt er beinahe Wortgetreu nun zum 3. Mal über seine Moralvorstellung, durch seine Aussage unschuldige Kameraden durch Antifa und Presse in Gefahr zu bringen.
RA Scharmer: „Sie sind Teil der Tafelrunde?“
Gerlach: „Nein. Mein Verhalten ist ritterlich.“
RA Sebastian Scharmer – Foto: J. Pohl
RA Scharmer: „Ich hätte noch Fragen zum Thema Hammerskins. Und zwar liegen uns Fotos von der sichergestellten Festplatte aus dem PC des Herrn Wohlleben vor.“
Es werden Fotos von einem „Ritteressen“ mit mehreren Teils in Rittergewändern gekleideten Personen gezeigt. Ralf Wohlleben ist dabei auf den ersten Blick erkennbar.
RA Scharmer: „Erkennen Sie jemanden?“
Gerlach: „Ja. Wohlleben.“
Das nächste Foto: Ein Gruppenbild. Alle Personen posieren mit vor dem Oberkörper gekreuzten Armen.
RA Scharmer: „Und ..?“
Gerlach: „Sag ich nichts.“
RA Scharmer: „Wer darf dieses Symbol machen?“
Gerlach: „Möchte ich nichts dazu sagen.“
RA Scharmer: „Ist Wohlleben dabei?“
Gerlach: „Sag ich nichts.“
RA Scharmer: „Eminger?“
Gerlach: „Sag ich nichts.“
RA Scharmer: „Was ist ‚NOM‘? ‚National Officers Meeting‘?“
Gerlach: „Sag ich nichts.“
RA Scharmer: „2011?“
Gerlach: „Sag ich nichts.“
RA Scharmer: „Wer darf da hin?“
Gerlach: „Sag ich nichts.“
RA Scharmer: „Welche Hammerskin-Gruppen gibt es?“
Gerlach: „Sag ich nichts.“
RA Scharmer: „Wer ist verantwortlich?“
Gerlach: „Sag ich nichts.“
RA Scharmer: (An Richter Götzl gerichtet) „Herr Vorsitzender! Ich stelle die Fragen deshalb, um dem Zeugen eine Aussageverweigerung nachweisen zu können.“
RA Scharmer: „Chapter West-Sachsen?“
Gerlach: „Sag ich nichts.“
RA Scharmer lässt sich durch die Arroganz von Thomas Gerlach nicht aus dem Konzept bringen und stellt im atemberaubendem Tempo Frage um Frage: „Jörg W.?“
Gerlach: „Sag ich nichts.“
RA Scharmer: „…“ (Wird von Gerlach unterbrochen.)
Gerlach: „Können Sie die Fragen nicht hintereinanderstellen? Dann brauch ich nur einmal zu antworten.“
Die Gesichtsfarbe von Richter Götzl wechselt nach dieser Frechheit in ein bedrohlich wirkendes dunkelrot: „Jetzt werden Sie mal nicht unverschämt!“ Die Wände des Gerichtssaals scheinen zu beben.
RA Scharmer bleibt unbeeindruckt und macht weiter: „Sagt Ihnen der Begriff ‚Fourteen Words‘ etwas?“
Gerlach gibt zumindest kurzfristig seine fragwürdige Taktik auf und antwortet ausnahmsweise. Er schwurbelt und stammelt, gibt so ein jämmerliches Halbwissen zu Fakten, die ein Hammerskin eigentlich aus dem Effeff wissen müsste, preis: „Ja, das kommt aus dem amerikanischen, so genau bekomme ich das auf Englisch nicht hin, irgendwie so: We must the existence unseres Volkes sichern oder so irgendwie. Jedenfalls geht es darum, die Existenz unserer Rasse zu sichern.“
(Anm.: Die erstmals in Kreisen weißer Neonazis aus den USA aufgetauchte Floskel „Fourteen Words“ ist ein extrem rassistisches und menschenverachtendes Glaubensbekenntnis. Mit den „Fourteen Words“ beschwören extrem rechts gesinnte und meist auch gewaltbereite Neonazis die – deren Überzeugung nach – Überlegenheit der „weißen oder arischen Rasse“. )
Fourteen Words: „We must secure the existence of our people and a future for White children.“ („Wir müssen die Existenz unseres Volkes und die Zukunft für die weißen Kinder sichern“)
RA Scharmer: „Wie stehen die Hammerskins zu den ‚Fourteen Words‘?“
Kaum fällt der Begriff „Hammerskin“ ist Gerlach keine vernünftige Antwort mehr zu entlocken: „Sag ich nichts.“
RA Scharmer: Herr Vorsitzender! Sie sehen, es macht keinen Sinn, weitere Fragen zu stellen. Ich beantrage Ordnungsmittel.“
Götzl: „Wir müssen erst die näheren Umstände zum Ermittlungsverfahren erfahren.“
RA Scharmer: „Ich sehe das anders. Der Zeuge beruft sich ausdrücklich nicht auf den § 55 StPO.“
Das Fragerecht wechselt zu RAin Lunnebach: „Zuerst möchte ich hier festhalten: Der Zeuge ist respektlos. Ich hätte einige Fragen, aber unter diesen Umständen werde ich jetzt keine stellen.“
Der wandlungsfähige Herr Gerlach.
Wohlleben-Verteidigerin RAin Schneiders ist an der Reihe: „Herr Gerlach, wissen Sie von Ermittlungen gegen das ‚Freie Netz Süd‘?“
Seltsamerweise antwortet Gerlach hier ausführlich und in einem bemerkenswert ruhigen Tonfall. Es drängt sich an dieser Stelle der dringende Verdacht auf, dass er diese Frage erwartet hat. Schlimmer noch: Es riecht hier an dieser Stelle der Einvernahme nach einer Absprache zwischen Gerlach und der Wohlleben-Verteidigung. Beweisbar ist das natürlich ist.
Gerlach: „Ja, ich hab das beiläufig mitgekriegt und etwas davon gelesen. Bin mir aber nicht mehr 100%ig sicher. Es gab da auch Hausdurchsuchungen.“
Wohlleben-Verteidigung RA Nicole Schneiders – Foto: J. Pohl
RAin Schneiders: „Waren Sie auch davon betroffen?“
Gerlach: „Nein.“
Eine seltene Wortmeldung von Nebenklage-Anwalt RA Erdal: „Herr Zeuge! Haben Sie eigentlich einen Schulabschluß?“
Gerlach antwortet pampig und herablassend: „Ja! 10. Klasse. Realschule.“
Götzl: „Herr Gerlach, haben Sie eigentlich die Befürchtung, dass gegen Sie ein Verfahren eingeleitet wird, wenn Sie hier auf Fragen antworten?“
Gerlach schwurbelt sich um eine Antwort herum: „Weiß nicht.“
Götzl: „Jetzt mal konkret! Warum die Durchsuchung? Welche Vorwürfe gab es gegen Sie? Ich meine jetzt 2003.“
Gerlach: „Bildung einer kriminellen Vereinigung. So wie Klemke schon sagte. Ich hatte sehr viele Durchsuchungen und Schriftwechsel mit der Staatsanwaltschaft. Und ich war bis 2004 in Haft. Ich bin zu dieser Thematik nie vernommen worden.“
Ermittlungsverfahren verzweifelt gesucht.
OStA Weingarten ist inzwischen wieder im Saal anwesend.
Götzl: „Herr Weingarten, gibt es Informationen?“
OStA Weingarten Foto: J. Pohl
OStA Weingarten: „Wir haben eine Verfahrensabfrage bei der Staatsanwaltschaft Dresden gemacht. Und zwar ‚prompt‘. Bis jetzt haben wir noch kein Ergebnis.“
Richter Götzl ordnet deswegen um 14:00 Uhr eine Verhandlungspause von 20 Minuten an.
Um 14:35 wird weiter verhandelt.
Götzl: „Und? Generalbundesanwaltschaft? Gibt es Informationen?“
Gerlach: „Weiß ich nicht. Ich hab eine Vorladung bekommen, bin aber nicht hingegangen.“
Götzl: (genervt) „Was war der Vorwurf?“
Gerlach: „Die haben irgendwie eine Waffe gesucht. Ich kenne mich mit Waffen aber nicht so aus.“
– Gelächter im Saal –
Götzl: „Dann werden wir jetzt Ihre Einvernahme für heute beenden. Die Akten der Staatsanwaltschaft Dresden werden beigezogen. Und Sie Herr Gerlach …“
Gerlach: „Ja ..?“
Götzl: „Sie sind für den 24.07.2014, das ist ein Donnerstag, nochmals vorgeladen. Haben Sie das verstanden?“
Gerlach: „Ja.“
Damit ist für heute die 2. Vernehmung von Thomas Gerlach um 14:40 beendet.
RAin Lunnebach: „Ich würde gerne eine Stellungnahme zur Vernehmung des Zeugen Gerlach abgeben. Ich weiß nicht, ob Sie es genehmigen.“
Götzl: „So etwas ist aber nicht üblich, Frau Rechtsanwältin.“
RAin Lunnebach: „Das ist mir bewusst. Deswegen frage ich ja, ob Sie es genehmigen.“
Götzl: „Wir stellen das zurück.“
Damit ist der Prozesstag beendet. Richter Götzl hat mit seiner Weigerung zur Abgabe eines Statements durch RAin Lunnebach zum Verhalten des Thomas Gerlach eine große Chance vertan. Gerlach ist der erste Zeuge aus der Naziszene, der aus seiner Gesinnung keinen Hehl machte. Er hat es geschafft, minutenlang über den drohenden Volkstod zu schwadronieren. Er konnte sogar ausführlichst seine extrem rassistischen „Lösungsansätze“ zur Verhinderung des Volkstodes darlegen. Niemand hat ihn dabei unterbrochen. Gerlach verhielt sich den Verfahrensbeteiligten und sogar dem Gericht gegenüber extrem respektlos. Eingegriffen hat niemand. Anwälte der Nebenklage werden vom Vorsitzenden Richter Götzl regelmäßig bloßgestellt, gemaßregelt und „zusammengefaltet“, wenn Sie beispielsweise nicht sofort die korrekte Fundstelle einer Akte benennen können.
Gerlach dagegen wurde mit Milde behandelt, er wurde geradezu verhätschelt. Nur einige Minuten nach dem Ende seiner Einvernahme veröffentlichte Thomas Gerlach folgenden Tweet:
München, 03.03.2015 – Ein Häuflein Neonazis protestiert gegen den NSU-Prozess, etwa 100 Gegendemonstranten sorgen dafür, dass die Redner nur von ihren eigenen Kumpanen gehört werden. Dass so viele Menschen am frühen Morgen bei schneidender Kälte den Weg zum OLG-München fanden, um dem Kreisvorsitzenden der Partei „Die Rechte“ Philipp Hasselbach den Vormittag zu vermiesen, gebührt Respekt. Viele Gegendemonstranten kamen vor ihrem Arbeitsbeginn vorbei und machten ihrem Ärger Luft. Mit Erfolg: Hasselbachs „Veranstaltung“ geriet zur Lachnummer und verpuffte unter dem kalten weiß-blauen Himmel der Münchner Innenstadt ohne nennenswerte Rückstände.
Die Hauptangeklagte Beate Zschäpe sorgte derweilen wegen Erkrankung dafür, dass der 189. Verhandlungstag abgesagt wird.
Und um den Wahnsinn noch gebührend abzurunden: Ein abstruser Auftritt einer Handvoll verspäteter Geburtstagsgäste, die Wohlleben ihre Aufwartung machen wollten.
Inhaltlich gibt es nichts zu berichten, deswegen heute zur Abwechslung einige Fotos dieses seltsamen Tages.
Für einen Fortschritt in Sachen Wahrheitsfindung im NSU-Prozess entwickeln sich lügende Zeugen seit Beginn der Verhandlungen zu einem immer größer werdenden Problem. Es ist mehr als offensichtlich, dass Handlungsbedarf besteht, jedoch scheint von keiner Seite der Prozessbeteiligten ein gesteigertes Interesse zu bestehen, diesem Problem Herr zu werden.
Hier zum 1. Teil dieser Mini-Serie mit einem aktuellen Wortprotokoll aus der Vernehmung von Markus F. vom 198. Verhandlungstag. >>
Das Ausmaß der Lügen ist der Öffentlichkeit nicht mehr vermittelbar.
Nach jedem lügenden Zeugen, der ohne Konsequenzen zu spüren davon kommt, wird die Berichterstattung schwieriger. Ganz egal welche Zeugen, ob aus der Nazi-Szene, aus dem Dunstkreis des Verfassungsschutzes oder aus sonst irgendeiner Gruppe. Der Öffentlichkeit sind diese Vorkommnisse nicht mehr zu vermitteln.
Wir müssen handeln! Jetzt!
Das Resultat: Das Interesse der Öffentlichkeit am NSU-Prozess nimmt mehr und mehr ab und dürfte sich derzeit auf einem negativen Rekordniveau befinden. Das ist eine Katastrophe, die wir bewältigen müssen, ja vielleicht sogar noch abwenden können. Lasst uns zusammen daran arbeiten. Presse, Blogger, Prozessbeobachter und Prozessbeteiligte müssen jetzt an einem Strang ziehen, um die Glaubwürdigkeit im NSU-Prozess wieder herzustellen.
Und so wird im NSU-Prozess gelogen: Subtil, dreist, hemmungslos, schamlos und immer mit dem Hintergrund Rassismus.
Hier eine sehr kleine – ungeordnete – Zusammenstellung (6 von knapp 200 Verhandlungstagen) mit Beispielen von lügenden Zeugen im NSU-Prozess:
Gleich zu Beginn ein eindrucksvolles Beispiel dafür, was passieren kann, wenn die Nebenklage die Lügen der Nazi-Zeugen nicht einfach hinnehmen will.
Carsten R. (36) ist wieder einer dieser unerträglichen Zeugen. Man könnte meinen, er wäre ein kleiner Fisch im undurchdringlichen NSU-Sumpf. Carsten R. hat 1998 unter seinem Namen eine Wohnung in Chemnitz für die untergetauchten Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe angemietet. Deswegen wird er am 19. März 2014 vor dem OLG-München im NSU-Prozess als Zeuge vernommen. […]
Gefühlte 99 % seiner Antworten bestehen aus diesen Floskeln:
“Weiß ich nicht mehr.”
“Ist schon zu lange her.”
“Kann mich nicht mehr erinnern.”
Seine seltenen Antworten, die inhaltlich auf die Frage eingehen, beendet Carsten R. meistens mit einem Nachsatz wie diesem hier: “… kann ich aber nicht genau sagen.”
So läuft die Befragung Stunde um Stunde. Trotzdem ging der Plan von Carsten R. durch geballtes Unwissen, nichtssagenden Antworten und beinharten Lügen möglichst wenig zu einem Erkenntnisgewinn beizutragen nicht ganz auf.
Auf die Frage des Vorsitzenden Richter Götzl warum ausgerechnet er als Wohnungsmieter für die bereits untergetauchten Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe auftreten sollte antwortete Carsten R. in typischer Art und Weise.
Götzl: “Jetzt erzählen Sie doch mal von vorne und der Reihe nach.”
Carsten R.: “Hab ich ja. Die Wohnung wurde eben angemietet.”
Ein Kommentar zur psychischen Verfassung von Götzl erübrigt sich an dieser Stelle.
Götzl: “Mit Personen! Bitte!”
Carsten R.: “Kann mich nicht erinnern. Das habe ich auch bei der Polizei schon gesagt.”
RA Hoffmann: “Haben Sie sich 2011 (Anm.: Am 04.11.2011 wurden Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe enttarnt.) bei der Polizei gemeldet?”
Carsten R.: “Nein.”
RA Hoffmann: “Warum nicht?”
Carsten R.: “Bei mir ging es ja um die Wohnung. Und bei denen um Tötung.”
Das Fragerecht hat nun RAin Pinar: “Ist Ihr ‘Egal sein’ eigentlich grenzenlos?”
Carsten R.: “Ja. Ich hab nicht differenziert, ob die Schokoriegel klauen, oder gerade jemanden umgebracht haben.”
RAin Pinar: “Wie waren Ihre Gedanken, als Sie erfuhren, dass “die 3″ Menschen umgebracht haben?”
Genau an dieser, dieser entscheidenden Stelle, an der die wirkliche Gesinnung des Zeugen ans Licht kommt, grätscht GBA Diemer mitten in die Befragung hinein. Wie immer in solchen Fällen ohne Worterteilung.
Diemer: “Ich beanstande die Frage …”
Diemer wird durch RAin Pinar unterbrochen, schließlich hat sie immer noch das Fragerecht. Sie hat weder erklärt, dass sie keine weiteren Fragen mehr hätte, noch hat irgendjemand GBA Diemer das Wort erteilt.
RAin Pinar: “Ich möchte hier nur auf eine Grundsatzentscheidung zur Beugehaft …”
Bei dem Wort “Beugehaft” wird RAin Pinar das Mikrofon abgedreht. Jedoch ist sie auch ohne Mikrofon zumindest auf der Besuchertribüne noch einigermaßen gut zu verstehen. “Ich lasse mir hier nicht von Ihnen den Mund verbieten.”
Götzl mischt sich nun auch ein: “Frau Anwältin! Bitte mäßigen Sie sich. Das Wort hat jetzt Dr. Diemer. Bitteschön, Herr Diemer! Sie sind dran.”
Aus den Reihen der Nebenklage sind überdeutlich Unmutsbekundungen ob der Entscheidung Götzls vernehmbar.
Götzl versucht den Tumult im Gerichtssaal, der sich auch auf die Tribüne ausgebreitet hat zu ignorieren: “Also bitte Herr Diemer …”
Diemer: “Ich beanstande die Frage. Die Frage hat nichts mit der Sache zu tun. Wir sind hier nicht das Jüngste Gericht, es ist nicht Aufgabe des Zeugen, sich für Einstellungen zu rechtfertigen, sondern Wahrnehmungen zu bekunden.”
Götzl: “Wenn Sie hier so weiter fragen, dann …”
RAin Pinar unterbricht Götzl: “Die Gesinnung dieses Zeugen ist mir wurscht.” (sic!)
Jetzt mischt sich RA Hoffmann in die inzwischen völlig außer Kontrolle geratene Diskussion ein: “Dieser Zeuge hier lügt den ganzen Nachmittag und die Bundesanwaltschaft unterstützt das auch noch.”
Götzl: “Ich lasse mich nicht unterbrechen …”
RAin Pinar: (An Götzl gerichtet.) “Dann sagen Sie doch endlich, was Sie sagen wollen.”
Götzl: “Ich habe Ihnen nicht das Wort erteilt. So! Und damit sich die Prozessbeteiligten wieder sortieren können und zur Besinnung kommen, unterbreche ich jetzt die Verhandlung für 10 Minuten.”
Er knallt einen Aktenordner auf das Pult, und verlässt um 17:20 Uhr ohne ein weiteres Wort zu verlieren den Gerichtssaal.
Eine angeordnete Verhandlungspause von 10 Minuten dauert im OLG-München 20 Minuten. Das war schon immer so, das wird immer so bleiben. In Bayern gehen die Uhren eben anders.
Um 17:40 Uhr erteilt Richter Götzl RAin Pinar das Wort.
RAin Pinar: “Bevor ich unterbrochen werde, stelle ich fest, dass eine Befragung des Zeugen nicht mehr sinnvoll ist. Ich stelle hiermit alle Fragen zurück.”
Die nächste Wortmeldung kommt von RA Kienzle: “Wir möchten uns zur Bemerkung von GBA Diemer zum “Jüngsten Gericht” äußern. Deswegen werden wir alle auf unser Fragerecht verzichten. Dem Zeugen ist überdeutlich klar geworden, dass sein Verhalten von der Bundesanwaltschaft hingenommen wird.”
Richter Götzl versucht noch zu retten, was zu retten ist: “Wir müssen jetzt mit der Befragung des Zeugen fortfahren.”
RA Kienzle: “Wir haben jetzt die Situation, dass die Beanstandung Diemers weiter im Raum steht. Stichwort: ‘Jüngstes Gericht’.”
Götzl: “Die Befragung des Zeugen steht im Vordergrund.”
RA Kienzle: “Das sehe ich anders. Hier steht ausgesprochen im Raum, dass Nebenkläger Fragen im Stil des “Jüngsten Gerichts” stellen.
[…]
RA Stahl: “Also mit wem haben Sie sich als Pärchen ausgegeben? Mit Frau Zschäpe?”
Carsten R.: “Das ist eine reine Vermutung von mir. Bei der Wohnungsübergabe eben. Wissen tu ich es nicht.”
RA Stahl: “Können Sie Böhnhardt und Mundlos unterscheiden?”
Carsten R.: “Nein.”
RA Stahl: “Und jetzt sag ich Ihnen noch was: Vermutlich hat Böhnhardt als Bürge auf dem Mietvertrag unterzeichnet.”
(Absolute Stille im Saal!)
Carsten R. antwortet unbeeindruckt. Dass er gerade überführt wurde, seit Stunden gelogen zu haben, lässt in anscheinend völlig kalt.
Carsten R.: “Kann sein …”
RA Stahl: “Keine weiteren Fragen mehr.”
Auf die Wiedergabe der weiteren Befragung kann getrost verzichtet werden. Carsten R. bleibt hartnäckig bei seinem Antwortverhalten.
Nach fast 5 Stunden grotesker Befragung nimmt um 18:15 das Trauerspiel mit der Entlassung des Zeugen sein Ende.
Fazit der Vernehmung: Es sind immens viele Fragen offengeblieben. Carsten R. weiß definitiv mehr, als er vorgibt zu wissen. Er hat Stunde um Stunde beinhart gelogen. Dies wurde ihm beispielsweise beim Themenkomplex Wohnungsbesichtigung und Mietvertrag eindrucksvoll nachgewiesen. Seine Aussagen, dass er mit Beate Zschäpe als Pärchen auftrat und das Zschäpe die Mitunterzeichnerin des Mietvertrages war, wiederholte er mehrmals. Beide Aussagen waren glatte Lügen, die völlig ohne Konsequenzen blieben.
Eine weitere Einvernahme des Zeugen wäre dringend geboten gewesen. Aber nur unter anderen Voraussetzungen wäre sie auch sinnvoll gewesen. Das Problem ist wieder einmal die Bundesanwaltschaft. Eine Bundesanwaltschaft, die wenig Interesse an einem zusätzlichen Erkenntnisgewinn hat, ist zu kritisieren. Eine Bundesanwaltschaft, die aktiv die Bemühungen zur Aufklärung verhindert, ist inakzeptabel, unzumutbar, eine Verhöhnung aller Opfer, ein Schlag ins Gesicht der Hinterbliebenen und unterstützt direkt den Rechtsextremismus. Zum kompletten Artikel >>
Lügen und Verharmlosen, Teil XII – weitere Vernehmung von Michael Probst
So leugnete er sogar, den Angeklagten André Eminger gekannt zu haben – und das, obwohl seine Ex-Frau bei der Polizei noch von konkreten Geschäftsbeziehungen Emingers zu Probst berichtet hatte und obwohl seine Telefonnummer im Handy-Speicher von Eminger gefunden wurde. Jedenfalls ist die Aussage des Zeugen nicht geeignet, die Angaben des V-Mannes Carsten Szczepanski zu den Unterstützungshandlungen von „B&H“ Sachsen und seiner Exfrau in Frage zu stellen. Nach seiner Zeugenaussage hätte er jedenfalls keine Kenntnis von solchen Unterstützungshandlungen haben können. Dass Szczepanski ihn als „B&H“-Mitglied bezeichnet, kann auch an seiner hervorgehobenen Position als Musikproduzent, Ladenbetreiber, Bandmitglied, Ehemann von Antje Probst und engem Freund von Jan Werner gelegen haben.
Thomas Gerlach ist einer der aktivsten Neonazis aus Thüringen. Er leugnet seine ultrarechte Einstellung nicht, sondern er schildert sein krudes Weltbild in geradezu unerträglicher Art und Weise. Gerlach war unter anderem Mitglied beim Thüringer Heimatschutz (THS), also der Organisation aus der vermutlich der NSU hervorgegangen ist. Zudem werden Gerlach engste Verbindungen zu den rechtsextremen und gewaltbereiten Hammerskins nachgesagt. Er sagt am 10.07.2014 bereits zum 2. Mal aus. Seine 1. Vernehmung am 01.07.2014 wurde vom Vorsitzenden Richter Manfred Götzl abrupt unterbrochen.
Hier ein Auszug aus der Befragung vom 10. Juli 2014 vor dem OLG München:
RA Scharmer: „Erkennen Sie jemanden?“
Gerlach: „Ja. Wohlleben.“
Das nächste Foto: Ein Gruppenbild. Alle Personen posieren mit vor dem Oberkörper gekreuzten Armen.
RA Scharmer: „Und ..?“
Gerlach: „Sag ich nichts.“
RA Scharmer: „Wer darf dieses Symbol machen?“
Gerlach: „Möchte ich nichts dazu sagen.“
RA Scharmer: „Ist Wohlleben dabei?“
Gerlach: „Sag ich nichts.“
RA Scharmer: „Eminger?“
Gerlach: „Sag ich nichts.“
RA Scharmer: „Was ist ‘NOM’? ‘National Officers Meeting’?“
Gerlach: „Sag ich nichts.“
RA Scharmer: „2011?“
Gerlach: „Sag ich nichts.“
RA Scharmer: „Wer darf da hin?“
Gerlach: „Sag ich nichts.“
RA Scharmer: „Welche Hammerskin-Gruppen gibt es?“
Gerlach: „Sag ich nichts.“
RA Scharmer: „Wer ist verantwortlich?“
Gerlach: „Sag ich nichts.“
[…]
RA Scharmer: „…“ (Wird von Gerlach unterbrochen.)
Gerlach: „Können Sie die Fragen nicht hintereinanderstellen? Dann brauch ich nur einmal zu antworten.“
Die Gesichtsfarbe von Richter Götzl wechselt nach dieser Frechheit in ein bedrohlich wirkendes dunkelrot: „Jetzt werden Sie mal nicht unverschämt!“ Die Wände des Gerichtssaals scheinen zu beben.
RA Scharmer bleibt unbeeindruckt und macht weiter: „Sagt Ihnen der Begriff ‘Fourteen Words’ etwas?“
[…]
Gerlach ist der erste Zeuge aus der Naziszene, der aus seiner Gesinnung keinen Hehl machte. Er hat es geschafft, minutenlang über den drohenden Volkstod zu schwadronieren. Er konnte sogar ausführlichst seine extrem rassistischen „Lösungsansätze“ zur Verhinderung des Volkstodes darlegen. Niemand hat ihn dabei unterbrochen. Gerlach verhielt sich den Verfahrensbeteiligten und sogar dem Gericht gegenüber extrem respektlos. Eingegriffen hat niemand. Anwälte der Nebenklage werden vom Vorsitzenden Richter Götzl regelmäßig bloßgestellt, gemaßregelt und „zusammengefaltet“, wenn Sie beispielsweise nicht sofort die korrekte Fundstelle einer Akte benennen können.
Gerlach dagegen wurde mit Milde behandelt, er wurde geradezu verhätschelt. Zum kompletten Artikel >>
Wie Carsten R. ist auch Thomas R. einer dieser extrem unangenehmen Zeugen aus dem unüberschaubaren Unterstützernetzwerk des so genannten NSU.
Thomas R. soll Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe nach ihrem Untertauchen im Jahr 1998 für ungefähr 14 Tage in seiner Wohnung im sächsischen Chemnitz aufgenommen haben. Auch war Thomas R. in der rechtsextremen Szene zumindest zu Beginn der neunziger Jahre höchst aktiv. Vor allem als Mitveranstalter rechtsradikaler Konzerte fiel Thomas R. auf. Deshalb sollte er im NSU-Prozess vor dem OLG München aussagen.
Viele Zeugen aus dem Umfeld “der Drei” sind in den vergangenen 100 Prozesstagen durch unverhohlen vorgetäuschte Erinnerungslücken, plötzlichem Gedächtnisverlust oder wegen Falschaussagen, vulgo Lügen in denkwürdiger Erinnerung geblieben. Bis zum 100. Prozesstag blieb dieses Verhalten völlig ungeahndet aber nicht unbeachtet.
Am heutigen symbolträchtigen 100. Prozesstag wollte der Vorsitzende Richter Götzl offenbar ein Zeichen setzen. Während der Vernehmung des Thomas R. war im Gerichtssaal plötzlich das Wort “Ordnungsmittel” vernehmbar. Soweit nichts ungewöhnliches. Die Vertreter der Nebenklage führten diesen Begriff schon öfters ins Felde. Ordnungsgeld oder Beugehaft gehören untrennbar zu dieser Vokabel und sind auch schon öfters während der Hauptverhandlung gefallen. Aber eben niemals von Götzl selbst. Ein derartiges Ansinnen der Nebenklage wurde bisher ausnahmslos von der Generalbundesanwaltschaft oder vom Senat rigoros abgeschmettert.
Heute war alles anders: Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl höchstpersönlich sprach das Wort “Ordnungsmittel” aus eigenem Antrieb und ohne dass von irgendeiner Seite ein entsprechender Antrag gestellt wurde, von selbst aus.
Hier ein kurzer Ausschnitt aus der Vernehmung von Thomas R.
Götzl: “Wer gehörte aus Chemnitz dazu?”
Thomas R.: “Bin zu Veranstaltung hin, das war es dann auch schon …”
Götzl: “Ich fragte nach Leuten, mit denen Sie zu tun hatten.”
Thomas R.: “Das will und muss ich hier nicht sagen.”
Und hier ein Beispiel aus dem Bereich Verfassungsschutz:
Der vom Landesamt für Verfassungsschutz bestellte “Zeugenbeistand” für den ehemaligen V-Mann Benjamin G. Rechtsanwalt Volker Hoffmann hat am 64. Prozesstag im NSU-Prozess offenbar unwahr ausgesagt. Diesen Verdacht legt zumindest eine Meldung der Frankfurter Rundschau vom 06.12.13 nahe. Demnach hatte laut Frankfurter Rundschau ein Sprecher des hessischen Verfassungsschutzes bestätigt, dass RA Hoffmann vom hessischen Verfassungsschutz nicht nur für die Vernehmung von Benjamin G. am 04.12.13 vor dem OLG München bestellt und bezahlt wurde, sondern auch für eine Vernehmung von G. durch das BKA im Jahr 2012.
Der hessische Verfassungsschutz hat bestätigt, dass er beim Rechtsterrorismus-Verfahren in München den Anwalt für einen früheren Zuträger aus der rechtsextremen Szene bezahlt hat. Auch bei der Vernehmung durch das Bundeskriminalamt im Jahr 2012 habe die Behörde den Rechtsanwalt Volker Hoffmann für den früheren Rechtsextremisten Benjamin G. entlohnt, sagte ein Sprecher des Verfassungsschutzes der Frankfurter Rundschau am Donnerstag.
Genau diese Vernehmung vom 26.04.12 war unter anderem ein Thema im NSU-Prozess am 04.12.13. Auf die Frage von Nebenklageanwalt Bliwier, ob G. sich an diese Vernehmung erinnere, antwortet dieser nach mehreren Nachfragen mit “nein”. Auch RA Hoffmann hat laut meiner Mitschrift der Vernehmung keine Erinnerung mehr an die Befragung durch das BKA: Schenkt man der Meldung der Frankfurter Rundschau glauben, dann hat RA Hoffmann eindeutig vor dem OLG München gelogen.
Hier die entsprechende Passage der Verhandlung am 04.12.13:
Bliwier macht einen weiteren Vorhalt aus dem Vernehmungsprotokoll des BKA vom 26.04.2012: “Sie hatten damals folgendes ausgesagt: ‘Danach hatte ich bis zum 23.04.2012 mit dem LfV überhaupt keinen Kontakt mehr. An diesem Tag bin ich von zwei Mitarbeitern aufgesucht worden, die mich auf die heute stattfindende Vernehmung ansprachen.’ Haben Sie das verstanden?”
– Stille –
Richter Götzl erklärt in einfachen Worten die Frage nochmals.
– Stille –
Bliwier: “Herr G., hat Ihr Zeugenbeistand die Vernehmung vom 26.04.2012 in seinen Akten?”
– Stille –
Bliwier: “Kennen Sie diese Vernehmung?”
G.: “Ich hab hier keine Zettel.”
Bliwier: “Ob Sie die Vernehmung überhaupt kennen…”
Hoffmann: “Wir haben keinerlei Protokolle bekommen.”
Bliwier: “Nochmal: ‘Danach hatte ich bis zum 23.04.2012 mit dem LfV überhaupt keinen Kontakt mehr. An diesem Tag bin ich von zwei Mitarbeitern aufgesucht worden, die mich auf die heute stattfindende Vernehmung ansprachen.’ Erinnern Sie sich?”
Wie lange noch? Wie lange will der Senat seine Haltung beibehalten? Seit fast zwei Jahren wird im Saal 101 am OLG München versucht, den Angeklagten ihre Beteiligung am NSU-Terror nachzuweisen. Seit ebenfalls zwei Jahren können Prozessbeobachter ein bemerkenswertes Phänomen beobachten: Es wird gelogen. Es wird dermaßen hemmungslos gelogen, dass sich die Balken biegen.
Szene-Jargon: „OLG-Stadl“
Die für jeden offenkundige Lüge hat einen festen Platz vor dem 6. Strafsenat unter dem Vorsitz von Richter Manfred Götzl gefunden. Konsequenzen gab es selbst für die dreistesten lügenden Zeugen bis jetzt nicht. Die Neonazi-Szene hat dies längst erkannt und lässt die aus ihren Reihen vorgeladenen Zeugen offenbar nicht mal mehr durch ihre Szeneanwälte auf die Verhandlungen vorbereiten. In Szene-Kreisen wird der NSU-Prozess inzwischen „OLG-Stadl“ genannt.
Frustrierte Journalisten, frustrierte Nebenklage.
Ist wieder ein lügender Nazi-Zeuge vorgeladen und führt das Gericht mit angeblichen Erinnerungslücken und grotesken Falschaussagen vor, dann lässt sich ein weiteres Phänomen beobachten:
Die Diskussionen in den kurzen Verhandlungspausen oder am Ende eines Prozesstages zwischen Prozessbeobachtern, der Presse und den Anwälten der Nebenklage lassen eines deutlich erkennen: Es hat sich Frust ausgebreitet. Wurden anfangs noch Stimmen laut, dass Götzl dieser Lügerei endlich einen Riegel vorschieben solle, so hört man in den letzten Tagen vorwiegend sarkastische Bemerkungen.
Man kann ja sowieso nichts ändern. Oder etwa doch?
Diese lügenden Nazi-Zeugen sind schon lange kein Aufreger mehr. Irgendwann hat sich die fatale Erkenntnis breit gemacht, man könne daran ja sowieso nichts ändern. Ganz egal wer: Ob Prozessbeobachter, Journalisten aber auch die Anwälte der Nebenklage scheinen den Kampf gegen die Lüge im NSU-Prozess aufgegeben zu haben. Sie flüchten sich immer öfter in juristische Spitzfindigkeiten, falls sie von einem neu hinzugekommenen Prozessbeobachter deswegen angesprochen werden. Bei diesen Gesprächen zeigt sich überdeutlich, dass die Angesprochenen selbst nicht mehr glauben, was sie da sagen und am liebsten vor Scham in den Erdboden versinken möchten. Der Prozessbeobachter bleibt rat- und fassungslos zurück, versteht die Welt nicht mehr und verliert mit jedem weiteren Prozessbesuch, bei dem wieder ein lügender Nazi-Zeuge sein krudes Weltbild und haarsträubende Lügengeschichten auf großer Bühne vortragen darf, den letzten Glauben an eine gerechte und unabhängige Justiz.
Wer lügt im Prozess und warum?
Ein Teil der Antwort ist einfach: Die Angeklagten sind es nicht. Warum? Sie sagen nichts. Gar nichts. Das betrifft übrigens nicht nur Beate Zschäpe. Lediglich einer der Angeklagten hat bis jetzt eine Aussage gemacht. Im Allgemeinen wird diese als weitgehend glaubwürdig eingeschätzt.
Ausnahmslos gelogen haben: Alle Zeugen aus der Rechten Szene, die zum Umfeld von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe aussagen sollten.
Ebenfalls ohne Ausnahme gelogen haben: Alle bisher geladenen V-Männer vom Verfassungsschutz. Prominente Beispiele: Tino Brandt, Carsten Szczepanski, Benjamin Gärtner.
Ein besonders dreister Lügner: Der ehemalige V-Mann-Führer Andreas Temme ist ebenfalls vom Verfassungsschutz.
Weiter beim Verfassungsschutz: Der Zeugenbeistand RA Volker Hoffmann, der dem V-Mann Benjamin Gärtner vom Landesamt für Verfassungsschutz zugeteilt wurde, hat nachweislich während der Vernehmung von Gärtner gelogen. Mehrmals. Damals war ich einer der fassungslosen Prozessbeobachter, als ich mir nach dem Verhandlungstag erklären lassen musste, dass Hoffmann in seiner Funktion als Zeugenbeistand nicht verpflichtet wäre, die Wahrheit zu sagen.
Es kommt noch schlimmer: Nicht nur Verfassungsschutz, Zeugen aus der rechten Szene, sondern auch Zeugen aus den Reihen der Polizei stehen zumindest schwer im Verdacht vor Gericht gelogen zu haben.
Es geht so nicht weiter:
Der 6. Strafsenat muss eine 180 Grad Kehrtwende machen, um die Glaubwürdigkeit des Gerichts zu retten und um den ungeheuren Ausmaßen der Verbrechen, die hier aufgeklärt werden sollen, gerecht zu werden. Jede Lüge ohne Konsequenz ist ein Schlag ins Gesicht der Opfer und deren Familien.
Den Fokus auf die lügenden Nazi-Zeugen richten und sie der Lüge überführen!
Die Presse berichtet immer weniger über die Aussagen der lügenden Nazi-Zeugen. Das muss aufhören. Und zwar sofort! Einige große Redaktionen berichten gar nicht mehr über die Lügner. Das ist der völlig falsche Weg und auch einer der Gründe dafür, dass die Situation jetzt so ist, wie sie ist. Zugegeben: Es ist schwer, mühsam, beinahe unmöglich und unbefriedigend darüber zu berichten. Das Argument einiger Journalisten, dass es bei diesen Aussagen nichts substanzielles zu berichten gibt, ist in sich richtig. Trotzdem ist es im Grundsatz völlig falsch. Denn hier ist die Lüge ohne Konsequenz die Substanz, über die berichtet werden muss. Und zwar pingelig genau, am besten mit den entsprechenden Fakten unterlegt. Jede ungeahndete Lüge vor Gericht muss der Öffentlichkeit präsentiert werden. Und jede dieser Lügen muss wie auf dem Seziertisch auseinandergenommen und mit Gegenbeweisen als solche identifiziert werden. Nach jedem Lügner vor Gericht muss die Frage nach den Konsequenzen gestellt werden. Immer wieder. Auch wir Blogger sind hier in der Pflicht. Auch deswegen dieser Artikel.
Für diesen Artikel gibt es mehrere Gründe:
Am 198. VHT sagte unter anderem Markus F. als Zeuge aus. Er sollte unter anderem Erkenntnisse aus dem Umfeld von Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe aus der Zeit kurz vor deren Abtauchen in den Untergrund liefern. Nach seiner Aussage wurde ich von einer Prozessbesucherin, einer älteren Dame, geistig sehr jung geblieben, angesprochen: „Und was passiert jetzt mit dem Zeugen? Der hat doch von Anfang bis Ende gelogen. Wird der jetzt festgenommen? Gibt es da keine Konsequenzen?“ Ich muss gestehen, ich habe mich geschämt, als ich der Dame sagen musste, dass Markus F. vermutlich mit keinen Konsequenzen rechnen muss und jetzt auf dem Weg nach Hause ist.
Hier – in Auszügen – das Wortprotokoll der Zeugenvernehmung von Markus F.
Um 14:10 Uhr beginnt die Vernehmung des Zeugen Markus F., Textilreiniger aus Chemnitz. Er soll zum Umfeld von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe aussagen. Nach der üblichen Belehrung durch Richter Götzl beginnt dieser mit seiner 1. Frage zum Mitangeklagten Ralf Wohlleben.
Götzl: „Zu dem Herrn Wohlleben. Was können Sie mir da sagen?“
F.: „Nichts.“
Götzl: „Sie kennen Wohlleben nicht ..?“
F.: „Nein.“
Götzl: „Kennen Sie denn die Beate Zschäpe?“
F.: „Nicht, dass ich wüsste.“
Götzl: „Was bedeutet das?“
F.: „Könnte sein. Vor 1998. Danach bin ich verhaftet worden.“
Götzl: (Schweigen)
F.: „Kann nix sagen. Ist so lange her.“
Götzl: „Können Sie das zeitlich Einordnen? Im Zusammenhang mit dem Kennenlernen von Zschäpe und …“
F.: (unterbricht Götzl) „… keine Ahnung.“
Götzl: „Lassen Sie mich aussprechen! Was hat 1998 mit Zschäpe zu tun?“
F.: „Kann weder ja noch nein sagen. Weil ich da in Haft war. Danach hatte ich mit Szene nix zu tun.“
Götzl: „Und was war vor 1998? In Bezug auf Szene?“
F.: „Viel getrunken, rumgeprügelt. Viel hatte ich damit nicht zu tun, weder mit dem politischen noch sonst was.?
Götzl: „Welche Personen bringen Sie mit der Rechten Szene in Verbindung? Vor 1998?“
F.: „Niemand spezielles.“
Götzl: „Ja, das sind doch einige Leute.“
F.: „Weiß nicht. Keine Erinnerung.“
Götzl: (deutlich lauter) „Herr F., Sie sind nicht glaubwürdig.“
F.: „Wenn ich es nicht weiß. Kann ja nicht irgendeinen Namen sagen.“
Götzl: „Glaube Ihnen nicht.“
F.: „Soll ich lügen?“
Götzl: „Nein. Aber auch ein Schweigen kann eine Falschaussage sein.“
F.: „Ja …“
Götzl: „Also getrunken, geprügelt? Aber keine Kontakte?“
F.: „…“
Götzl: „Szene bedeutet Kontakt mit Leuten.“
F.: „Ja, in der Wendezeit. Gab Links und Rechts. Bin da irgendwie reingeschlittert.“
Götzl: „Wo haben Sie sich aufgehalten?“
F.: „Von 1991 bis 1994 in Stuttgart, wegen meiner Lehre. Dann Chemnitz.“
Götzl: „Was haben Sie in Stuttgart gemacht?“
F.: „Lehre.“
Götzl: „Nur Stuttgart?“
F.: „Auch Ludwigsburg.“
Götzl: „Mit wem Kontakt?“
[…]
Götzl: „Kennen Sie Mundlos?“
F.: „Nee!“
Götzl: „Böhnhardt?“
F.: „Nein.“
Götzl: „André Eminger?“
F.: „Nö.“
Götzl: „Holger Gerlach?“
F.: „Nein.“
Götzl: „Schulze?“
F.: „Nein.“
Götzl: „Gab es mal Besuch aus Stuttgart oder Ludwigsburg in Chemnitz?“
F.: „Nicht mit mir in Verbindung.“
Götzl: „Natürlich mit Ihnen in Verbindung!“
F.: „…“
Götzl: „Also Sie sind 1994 wieder nach Chemnitz. Was haben Sie da gemacht?“
F.: „Gearbeitet. Bei Vater in Textilreinigung. Bis heute.“
Götzl: „Und Ihre Tätigkeit in der Szene?“
F.: „Hab dort keine Tätigkeit gehabt.“
(RA Heer ermahnt den Zeugen deutlicher zu sprechen)
F.: „Keine spezielle Tätigkeit in Szene gehabt!“ (besonders laut)
[…]
Und in diesem Stil zog sich die weitere Vernehmung hin. Selbst bei Vorhalten aus Vernehmungen von ihm bekannten Personen aus der Rechten Szene kann sich Markus F. entweder an nichts erinnern oder leugnet, diese Personen zu kennen. Schließlich werden ihm mehrere Fotos vorgelegt. Darunter sind Fotos, die F. eindeutig mit Mundlos und Zschäpe zeigen. Bei diesen Fotos erkennt er sich zwar selbst, sonst meist aber keine der anderen Personen.
Eine Rechtsanwältin der Nebenklage stellt F. unter anderem diese Frage: „Haben Sie Tattoos?“
F.: „Nein.“
Für jeden im Gerichtssaal ist am linken Unterarm in der Nähe des Handgelenks eine große Tätowierung zu sehen. Jedoch erhebt niemand wegen dieser beinharten, mehr als offensichtlichen Lüge Einspruch. Innerhalb von 5 Minuten hätte das Gericht bei diesem einfachsten Beispiel Markus F. eine Falschaussage nachweisen können. Aber: Es ist nichts passiert.
Die nächste Frage verpufft deswegen völlig wirkungslos: „Tragen Sie auf Ihrer Brust einen tätowierten Rudolf Heß Schriftzug?
Die Antwort des Zeugen F. ist daher nicht überraschend: „Nein.“
Während einer Prozesspause unterhielt ich mich bei einem Espresso mit einem Anwalt der Nebenklage über das Problem „Lügen ohne Konsequenzen.“ Nach kurzer Zeit sprudelte es förmlich aus ihm heraus. Der ganze aufgestaute Frust entlud sich. Es war offensichtlich: Hier läuft etwas grundlegend schief. Und: Er machte mich auf eine interessante Geschichte aufmerksam:
Falschaussage: Wenn man will geht es auch anders.
Das immer öfter vorgebrachte Argument, dass es bei Falschaussagen auch ohne Vereidigung kaum Möglichkeiten gibt, dies zu ahnden ist falsch. Dies dokumentiert der Fall eines Polizisten aus Rosenheim, der vor dem NSU-Untersuchungsausschuss Bayern eine Aussage machte, die so gar nicht in das offizielle Bild passte. Die Staatsanwaltschaft wurde hier überraschend schnell aktiv: Wegen einer Falschaussage! Vermutlich war die Falschaussage aber gar keine solche.
Bayerischer Landtag, Dienstag, 18.Juni 2013, ca. 13:00 Uhr:
Die Mitglieder des Untersuchungsausschuss „Rechtsterrorismus in Bayern – NSU“ haben sich zur 28. Sitzung versammelt. Die Zeugenbefragung wird durch den Vorsitzenden Franz Schindler (SPD) geleitet, der den heutigen ersten Zeugen KHK Konrad Pitz von der KPI Rosenheim befragt.
Zeuge Konrad Pitz: Und dass es eine kriminelle Vereinigung oder terroristische Vereinigung gebe, auf jeden Fall rechtsradikal. Das muss zumindest gefallen sein: NSU. Ich habe mir das also besonders gemerkt, weil diese NSU war für mich so eine Brücke: NSU und dann das NSU-Fahrrad, also das ist das einzige Fahrrad der Welt, das mit Kardanantrieb ist, und deshalb konnte ich mir eben das so gut merken. Die sagten dann eben Nationalsozialistischer – – Wie heißt der?
Vorsitzender Franz Schindler (SPD): Gut. Jetzt sagen Sie uns mal, wann war die Besprechung, und wer war da dabei?
Zeuge Konrad Pitz: Ich kann Ihnen das Datum nicht mehr sagen.
Vorsitzender Franz Schindler (SPD):Ungefähr.
Zeuge Konrad Pitz: Es war die Verabschiedung vom SoKo-Leiter Geier, der dann die SoKo „Peggy II“ weiterführte. Das kann ich Ihnen sagen. Ein genaues Datum nicht mehr.
Vorsitzender Franz Schindler (SPD): Das deutet im Ergebnis, wenn das stimmt, was Sie sagen, dass das etwa im Jahr 2007 gewesen sein müsste, oder?
Zeuge Konrad Pitz: Ja.
Damit war die Katze aus dem Sack: Ein Zeuge aus Polizeikreisen sagt, dass ihm der Begriff „NSU“ bereits im Jahr 2007 im Zusammenhang mit Rechtsextremismus geläufig war. Also 4 Jahre bevor die Abkürzung „NSU“ durch das Auffliegen des Nationalsozialistischen Untergrunds bekannt wurde.
An diesem Tag ist im „NSU-Untersuchungsausschuss Bayern“ eine Bombe geplatzt. Und kaum jemand hat es interessiert. Diese Aussage passte so überhaupt nicht zur offiziellen Version, auf dessen Grundlage der NSU-Prozess aufbaut.
Nur die Staatsanwaltschaft München I sah offenbar dunkle Wolken am Horizont aufziehen und versuchte das Schlimmste zu verhindern.
Brisante Erinnerungen
Die Erinnerung von Konrad Pitz ist deswegen so brisant, weil die Polizei bisher unisonso erklärt, sie habe bei ihren Ermittlungen nicht an eine rechtsradikale Terrorgruppe denken können. Weil so etwas außerhalb jeglicher Vorstellung lag. […] Quelle: Süddeutsche Zeitung vom 05.12.14
Nazi-Zeugen, die sich im NSU-Prozess vor dem OLG München immer dreister benahmen waren bereits im Dezember 2014 zu einem Problem geworden, welches am besten niemals hochkochen sollte.
Die Staatsanwaltschaft München I reagierte rasch und klagte Kommissar Pitz wegen uneidlicher Falschaussage an. „Bei Aussagedelikten verstehen wir keinen Spaß“, sagt der Sprecher der Staatsanwaltschaft München I, Thomas Steinkraus-Koch. Eine Aussage vor dem Untersuchungsausschuss gilt wie eine Aussage vor Gericht und auf Lügen steht eine Strafe von drei Monaten bis fünf Jahre. […] Quelle: Süddeutsche Zeitung vom 05.12.14
Und es wird in der Justiz doch mit zweierlei Maß gemessen. Und zwar wasserdicht beweisbar. Warum dies unbedingt bei der Aufarbeitung der NSU-Verbrechen so offensichtlich geschieht, könnte man entweder mit grenzenloser Dummheit oder durch Panikreaktionen erklären. Ob Dummheit oder Panik: Die Institution, die das eine oder andere Kriterium erfüllt, muss eine gewisse Macht haben, um derartige Verfahren anzustoßen oder zu verhindern.
Kein Verfahren gegen rechtsradikale Szenezeugen. Doch im Gegensatz zu Kommissar Pitz werden die Lügner vor Gericht bisher nicht verfolgt, es ist kein Verfahren gegen die rechtsradikalen Szenezeugen anhängig. […] Die Staatsanwaltschaft München I beruft sich darauf, man warte erst die Beweisaufnahme und die Bewertung durch das Gericht ab. Quelle: Süddeutsche Zeitung vom 05.12.14
Ob und wie das OLG München gegen lügende Verfassungsschützer vorgehen wird? Es bleibt spannend.
Am 128. Verhandlungstag im NSU-Prozess ließ Beate Zschäpe über einen Mittelsmann dem Strafsenat am OLG München ausrichten, dass sie ihren 3 Pflichtverteidigern nicht mehr vertraut. Diese Entscheidung traf Zschäpe im unmittelbaren Anschluss nach der Befragung des Neonazis Tino Brandt durch ihre Verteidiger. Tino Brandt, Kopf des Thüringer Heimatschutz (THS), stellvertretender Landesvorsitzender der NPD in Thüringen, bis zu seiner Enttarnung hochbezahlter V-Mann des Landesamtes für Verfassungsschutz Thüringen und guter Bekannter von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt scheint bei seiner Aussage am 128. Verhandlungstag bei Zschäpe einen bleibenden Eindruck hinterlassen zu haben. Wie mit Mundlos und Böhnhardt auch pflegte Brandt auch regelmäßige Kontakte mit Zschäpe.
Hinweis: Dieses Video ist mein „Erstlingswerk“. Deswegen bitte ich um Nachsicht. Die nächsten werden (vielleicht) besser!
Tino Brandt sitzt wegen des Verdachts auf Kindesmissbrauch derzeit in U-Haft. Zu seiner Einvernahme wurde Brandt mit Handschellen gefesselt vorgeführt.
Hier ein Auszug aus der Vernehmung durch Zschäpe-Verteidiger Rechtsanwalt Wolfgang Stahl:
RA Stahl: „Sie antworteten auf die Frage des Herrn Vorsitzenden auf die Frage zur Vollmacht von Frau Zschäpe an RA Eisenecker: ‚Die wollten nach Hause in sozialverträglicher Art.‘ Woher hatten Sie dies Information?“
Brandt: „War ja in unserem eigenen Interesse. Mit ’sozialverträglich‘ meine ich keine 10 Jahre Haft oder so etwas wegen dem Garagenfund. Sie wollten heim, im Vorfeld sollte durch vernünftigen RA den man kennt, auf den man sich verlassen kann sollte das ausgelotet werden, ob das möglich ist mit einer Strafe von 1 bis 2 Jahren oder ohne Haft.“
RA Stahl: „Nochmal: Diese Informationen? Woher? Wer hat Ihnen das gesagt?“
Brandt: „Ich denke, ich habe ein Gespräch mit Ralf Wohlleben geführt. Er war ja mein Ansprechpartner. Eisenecker hat mich ja selbst in mehreren Fällen vertreten, daher hatte ich Kontakt zu ihm. Bei Sitzungen und Prozessen hab ich ihn meist gesehen, deshalb der Kontakt über mich. Eisenecker war ja in Mecklenburg-Vorpommern.“
RA Stahl: „Wie ist der Kontakt zu Eisenecker genau entstanden?“
Brandt: „Keine Erinnerung.“
RA Stahl: „Wie lange waren Sie im politisch rechten Flügel aktiv? Bis 2001, bis zu Ihrer Enttarnung?“
Brandt: „Ja, bis Mitte 2001.“
RA Stahl: „In der ländlichen Region in der Sie politisch aktiv waren? Ich fang mal anders an. Wen gab es denn dort sonst noch?“
Brandt: „Nordhausen, Mühlhausen, Blood & Honour, den Kreis um Michael See. Aber die meisten Aktionen hat der THS durchgeführt. Die politischen Aktionen, das war vom THS.“
RA Stahl: „Inwieweit waren Sie über Aktionen informiert?“
Brandt: „In Thüringen war ich im großen und ganzen informiert. Was Blood & Honour gemacht hat, nicht unbedingt.“
RA Stahl: „Wussten Sie von terroristischen Aktionen?“
Brandt: „Von terroristischen Aktionen war nie was bekannt. Es gab Blood & Honour, die eigene Konzerte gemacht haben, die wir auch besucht haben. Aber die politische Arbeit, die haben wir vom THS gemacht. Also Zeitung, Flugblätter und Aktionen. Die haben wir gemacht.“
RA Stahl: „Sie waren also informiert über Aktionen, die die Rechte Idee nach vorne bringt?“
Brandt: „In den NPD Landesvorstandssitzungen, auch beim THS gab es Kadersitzungen, wo man sich politisch abgestimmt hat.“
RA Stahl: „Ist dort auch über die Idee zu rechten Terrorzellen oder rechte Terrorakte überlegt worden?“
Brandt: „Nein. Wir haben eigentlich immer den Weg der Politik zu gehen versucht. Auch mit Demos versucht, die sind meist verboten worden durch den Freistaat Thüringen, mit wilden Begründungen. Natürlich gab es auch mal Sachbeschädigungen, etwa durch Aufkleber kleben und so. Aber das war der normale politische Weg, unsere Zielsetzung.“
RA Stahl: „Eigentlich politisch? Und nicht doch auch uneigentlich?“
Brandt: „Natürlich ist es bei den Skins in Sonneberg mal zu Körperverletzungsdelikten gekommen. Discoschlägereien und so was.“
RA Stahl: „Ich meine terroristische Aktivitäten?“
Brandt: „Nein. Gab es nicht.“
RA Stahl: „Gestern sagten Sie: Zschäpe war keine dumme Hausfrau. Hatte Zschäpe eigene Ideen entwickelt in Diskussionen? Was haben Sie da konkret in Erinnerung?
Brandt: „Eigene Ideen politischer Art nicht. Sie war ja nicht bei politischen Grundsatzdiskussionen dabei. Eher Diskussionen über Germanentum oder so. Grundsatzdiskussionen fanden damals als Beate neu war noch nicht statt. Später dann mit Kapke Themen mit sozialrevolutionärer Ausrichtung und nationaler Ausrichtung. Aber mit Beate noch nicht.“
Der Beginn der Verhandlung nach der Mittagspause wurde mehrfach verschoben. Ein Grund dafür wird nicht genannt. Auf der Besuchertribüne schießen derweil die Spekulationen ins Kraut. Zschäpe sei wieder einmal krank, so wird gemunkelt. Was dann aber geschieht, damit hat niemand, aber wirklich niemand gerechnet:
Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl verkündete das „Misstrauensvotum“ nach der Mittagspause. Die Nachricht schlug buchstäblich ein, wie eine Bombe. Der Verhandlungstag wurde abgebrochen, der darauffolgende abgesagt. Auch an diesem Tag war Tino Brandt als Zeuge vorgeladen.
Dem Anschein nach waren sämtliche Prozessbeteiligte, Prozessbeobachter und Pressevertreter von dieser Nachricht völlig überrascht. Auch die Zschäpe-Verteidiger RAin Sturm, RA Stahl und RA Heer schienen von dem entzogenen Vertrauen völlig unvorbereitet getroffen worden zu ein. Die Vertreter der Bundesanwaltschaft schienen nicht minder überrascht.
Was Zschäpe dazu bewogen hat ist zur Stunde (22.07.2014, 07:00 Uhr) noch völlig unklar.
Dass sich Neonazis als vermeintliche Prozessbeobachter im NSU-Prozess auf der Besuchertribüne tummeln, ist inzwischen nichts ungewöhnliches mehr. Nach anfänglicher Aufregung nimmt man dieses hin, schließlich wird öffentlich verhandelt. Damit hat jeder das Recht, sofern er sich ausweisen kann, den Prozess nicht stört und keine politischen Parolen verbreitet, den Verlauf der Verhandlung zu beobachten. Am 12. März 2014 saßen jedoch ganz besondere Gäste mitten unter den Prozessbeobachtern: Der Münchner Stadtrat Karl Richter (BIA) und einige seiner Unterstützer verfolgten die Vernehmung des hessischen Verfassungsschutzpräsidenten Lutz Irrgang. Der Zeitpunkt des Besuches war nicht den Aussagen des pensionierten Irrgang geschuldet, sondern sollte den Wahlkampf von Karl Richter beflügeln. Karl Richter, seit 2008 einziger Stadtrat der BIA (Bürgerinitiative Ausländerstopp), seit 2009 stellvertretender NPD-Parteivorsitzender, seit 2004 Leiter des Parlamentarischen Beratungsdienstes der NPD-Landtagsfraktion im Sächsischen Landtag, bis Januar 2014 Chefredakteur der NPD-Parteizeitung „Deutsche Stimme“ und, und, und. Dieser Karl Richter, der bei seinem Einzug in den Münchner Stadtrat unverhohlen den Hitlergruß zeigte, dafür auch verurteilt wurde, saß also sichtlich gelangweilt inmitten der meist ahnungslosen Zuschauer. So weit kein Problem.
In der Mittagspause witterte Karl Richter seine Chance für seinen großen Auftritt vor dem Haupteingang des OLG München. Der Sicherheitsdienst, der im Übrigen schon seit 92 Prozesstagen hervorragende Arbeit leistet, erkennt inzwischen potentielle Störenfriede und sorgte dafür, dass die geplante „Karl Richter Show“ schon im Keim erstickt wurde.
Karl Richter und Philipp Hasselbach vor dem OLG München am 12.3.14. Foto: J. Pohl
Allerdings hinderte dies nicht seine Helfershelfer – allen voran Philipp Hasselbach – daran, sich vor dem Gerichtsgebäude zu präsentieren. Die Anzahl der Zuschauer, die dieses groteske Schauspiel erleben mussten, hielt sich jedoch in einem äußerst überschaubaren Rahmen. Genau genommen gab es gar keine Zuschauer. Lediglich das kleine Grüppchen, das im Schlepptau von Richter und Hasselbach das OLG besuchten, zeigte ein gewisses Interesse.
Philipp Hasselbach vor dem OLG München mit T-Shirt „Freiheit für Wolle“ am 12.3.14. Foto: J. Pohl
Dieser Philipp Hasselbach ist ein sehr bekannter Neonazi, der sich derzeit in Bayern für seine rechtsextremen, rassistischen und ausländerfeindlichen Ideen engagiert. Er war Gründungsmitglied der „Autonome Nationalisten München“, arbeitete eng mit dem Neonazi Norman Bordin zusammen, war Direktkandidat der NPD im Wahlkreis München-Land zur Bundestagswahl im Jahr 2009. Er ist strafrechtlich mehrfach wegen Volksverhetzung und wegen der Verbreitung verfassungsfeindlicher Materialien in Erscheinung getreten. Auch wegen Körperverletzung und Sachbeschädigung wurde gegen Hasselbach schon mehrfach ermittelt. Durch seinen Auftritt mit der T-Shirt Aufschrift „Freiheit für Wolle“ zeigt er unverhohlen in aller Öffentlichkeit seine Verbundenheit mit Ralf Wohlleben, Angeklagte und Unterstützer des NSU-Trios Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe.
Nur knapp 24 Stunden später tritt Karl Richter in Begleitung mit Philipp Hasselbach auf einer Kundgebung der BIA auf dem Münchner Stachus auf.
Philipp Hasselbach bei „BIA“ Kundgebung am 13.03.14. Foto: J. Pohl
Karl Richter bei „BIA“ Kundgebung am 13.03.14. Foto: J. Pohl
Sollte die BIA die nötige Anzahl an Wählerstimmen erreichen, dann ziehen nicht nur die NPD, sondern auch die Unterstützer und Sympathisanten des NSU in das Münchner Rathaus ein.
Bei dieser Zeugenvernehmung geht es vor allem um Bargeld, das mit hoher Wahrscheinlichkeit aus Banküberfällen stammt. Die Banküberfälle sollen nach dem heutigen, offiziellen Ermittlungsstand von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos begangen worden sein.
Richter Götzl beginnt die Vernehmung der Polizeibeamtin Q. (KHK im BKA Wiesbaden) mit Fragen zu diversen Bargeldfunden, die im Brandschutt der ehemaligen Wohnung von Beate Zschäpe in der Zwickauer Frühlingsstraße aufgefunden worden sind.
Eine fachkundige Zeugin – scheinbar.
Hier besticht die Zeugin noch mit Sach- und Fachkunde. Sie kann jede Frage Götzls zufriedenstellend beantworten. So war es für Frau Q. kein Problem aus dem Stegreif lediglich anhand der genannten Bargeldsumme auch den dazu gehörigen Bankraub zu nennen.
Wirklich neue Erkenntnisse brachte die Vernehmung nicht ans Licht. Lediglich die erneute Bestätigung der seltsamen Auffindeorte des erbeuteten Bargelds und der Umstand, dass Geldbündel mit der Originalbanderole der überfallenen Banken teils auch aus weit zurückliegenden Banküberfällen sowohl in Zschäpes Wohnung als auch im Wohnmobil gefunden wurden, in dem sich Böhnhardt und Mundlos unter höchst merkwürdigen Umständen gegenseitig erschossen haben sollen, weckte abermals Misstrauen.
Achtung! Anleitung: Bankraub für Anfänger
Wäre ich ein angehender, unerfahrener Hobbybankräuber, dann würde ich zumindest als allererstes die Banderolen, mit denen die Geldbündel von den überfallenen Banken eingepackt wurden, entfernen. Als Krimi-Zuschauer wüsste ich vielleicht auch noch, dass die Seriennummern der Banknoten eventuell registriert sein könnten, und würde dementsprechend danach handeln.
In einer früheren Vernehmung zum Thema Banküberfälle habe ich erfahren, dass einige Banken in den Geldbündeln wohl präparierte Geldscheine verstecken. Diese Geldscheine sind durch einen Stempelaufdruck mit Name und Anschrift der entsprechenden Bank verziert. Das war mir neu. Damals war auch die einhellige Meinung auf der Presse- und Besuchertribüne, dass man sich heutzutage nicht mal mehr als Bankräuber auf die Ehrlichkeit der Geldinstitute verlassen kann.
Aber Geldbündel mit Banderolen der überfallenen Banken im Brandschutt der Wohnung und in den Überresten des ausgebrannten Wohnmobils? Das ist so unglaublich oder so extrem unwahrscheinlich, dass es schon beinahe wieder wahr sein könnte. Deswegen der kurze Ausflug im Sinne von „Bank robbery for Dummies“.
Unendlich viele Banküberfälle
Die Vernehmung schleppt sich derweil hin. Akribisch listet Richter Götzl Geldfund nach Geldfund und den dazugehörigen Banküberfall auf. Götzl macht der Zeugin dazu einen Vorhalt aus früheren Vernehmungen nach dem anderen. Die Zeugin bestätigt jeden Vorhalt prompt und ohne lange nachzudenken. Sie hat sich auf diese Fragen offenbar sehr gut vorbereitet.
Nach einer gefühlten Ewigkeit kommt dann doch unerwartet Würze in dieses Schauspiel. Aber nur kurz.
Es fehlen 5.- Euro!
Mit einem weiteren Vorhalt will Götzl von der Zeugin wissen, ob in dem Geldfund, der ausgerechnet aus dem letzten Bankraub in Eisenach am 04. November 2011 stammt, tatsächlich 5.- Euro fehlen würden.
Auch diesen Vorhalt bestätigt die Zeugin Ruck-Zuck als richtig.
Vielleicht hat sich einer der beiden Uwes nach dem Bankraub eine Schachtel Zigaretten gekauft? Im Gegensatz zu allen anderen Geldfunden handelt es sich hier um den Einzigen, auf den mit allergrößter Wahrscheinlichkeit lediglich Böhnhardt und Mundlos Zugriff hatten. Um 09:30 Uhr wurde die Sparkassenfiliale in Eisenach von den Beiden überfallen. Zwei Stunden später waren Böhnhardt und Mundlos bereits nicht mehr am Leben. Was immer in diesen 2 Stunden passiert sein mag: Offensichtlich war es nicht mehr möglich, die fehlenden 5 Euro wieder zurück zur Beute zu legen. Wer auch immer dafür womöglich zuständig war, Fehlbeträge im erbeuteten Geld wieder auszugleichen, hatte es definitiv nicht mehr geschafft.
Diese Fragen wurden leider nicht gestellt.
Anschließend läuft die Vernehmung wieder wie gehabt, allerdings assoziiert mit einer scheinbar plötzlich eingetretenen Gedächtnisschwäche der Zeugin.
Eine plötzliche Gedächtnisschwäche.
Götzl will nun auch die dazugehörigen Auffindeorte der Beutestücke von der Zeugin wissen. Er fragt, sie antwortet stets, dass sie an die Auffindeorte der meisten Geldasservate keine Erinnerung mehr habe. Auch nach Götzls Vorhalten aus alten Vernehmungen beantwortet die Zeugin meist folgendermaßen: „Nicht mehr erinnerlich.“ „Keine Erinnerung.“
Der Vorsitzende Richter Götzl reagiert wegen der plötzlich von der vor Kurzem noch alles Wissenden zur sich als komplett unwissenden gewandelten Zeugin zunehmend genervt.
Götzl: „Was war eigentlich Ihr genauer Auftrag?“
Q.: „Ich hatte den Auftrag die Bargeldbeträge zusammenzuführen.“
Götzl: „Welche Quellen standen Ihnen da zur Verfügung?“
Q.: „Wie meinen Sie das?“
Götzl: „Ja, wo konnten Sie nachsehen? Quellen eben.“
Q.: „Eben alle zugänglichen Quellen. Elektronische Quellen, Berichte, usw.“
Götzl hakt nicht weiter nach. Und wechselt das Thema auf andere Asservate: Die Mountainbikes. Hier erinnert sich die Zeugin wieder schnell: Ein Mal Marke Scott, ein Mal Marke GT. Sie verweist sogleich auf die Vernehmung des Fahrradhändlers.
Schwarzpulver in tadellosem Zustand. Nach der Explosion in Zschäpes Wohnung!
Die nächste Frage Götzls zielt auf das Schwarzpulver, das in der explodierten Wohnung von Zschäpe sichergestellt wurde. Auch hier kann sich die Zeugin spontan und ohne Umschweife daran erinnern, dass in der Wohnung 2.500 Gramm Schwarzpulver gefunden wurden. Ein weiter Teil des gleichen Pulvers wurde im Wohnmobil sichergestellt.
Bemerkenswert, dass sich 2,5 Kilogramm Schwarzpulver in einer kurz vorher explodierten und völlig ausgebrannten Wohnung in einem unbeschädigten Glas mit Schraubverschluss befinden.
Weiter geht es mit den nächsten Asservaten. Götzl fragt, Zeugin kann sich nicht erinnern, Götzl macht Vorhalt, Zeugin bestätigt. Es wird nun überdeutlich, dass die Zeugin Q. definitiv nichts selbst ermittelt hat. Die Befragung entwickelt sich immer mehr zur Farce, auf der Presseseite der Tribüne verstummen die Tippgeräusche. Es ist klar: Hier wird es keine neuen Erkenntnisse mehr geben.
Die Unterschrift von André E.
André E. verlässt das OLG München. Foto: J. Pohl
Die Zeugin wird zum Richtertisch gebeten, es geht um die Unterschrift auf der Auftragsbestätigung für eines der angemieteten Wohnmobile. Die Auftragsbestätigung wird – wie üblich – für alle sichtbar an die Wand projiziert. Auf Nachfrage Götzls bestätigt die Zeugin Q., dass André E. diesen Vertrag unterschrieben hat. Der Mitangeklagte E. reagiert darauf in keiner erkennbaren Weise.
Die Demontage der Zeugin beginnt…
Ein Anwalt der Nebenklage will nach Götzls Befragung wissen, ob die Kleidung von Zschäpe untersucht wurde. Die seltsame Antwort der Zeugin: „Nur geringe Teile.“
NK hakt nach: „Und die Kleidung als Zschäpe festgenommen wurde?“
Q.: „Kann durchaus sein.“
Nochmals wird überdeutlich klar, dass die Polizeibeamtin absolut nichts selbst ermittelt hat.
Zschäpe-Verteidigerin RA Anja Sturm – Foto: J. Pohl
Zschäpe-Verteidigerin RAin Sturm meldet sich mit einem Vorhalt zu einem der Banküberfälle in Chemnitz zu Wort: Ob denn bei diesen Geldscheinen eine nähere Abklärung stattgefunden hätte?
Q.: „Nein, keine Abklärung gemacht.“
RAin Sturm: „Nichts erinnerlich?“
Q.: „Nein.“
„Was haben Sie eigentlich gemacht?“
Mit RA Stahl meldet sich der nächste Zschäpe-Verteidiger zu Wort: „Was haben Sie eigentlich gemacht?“
Q.: „Die Auswertung der Asservate.“
RA Stahl: „Aha..?“
Q.: „Ich habe die Asservate nur anhand von Fotos untersucht.“
Zschäpe Verteiger RA Stahl. Foto: J.Pohl
– Kopfschütteln auf allen Kanälen –
RA Stahl: „Sie mussten also auf Kollegen bei der Auswertung zurückgreifen?“
Die Vollendung der Demontage: Unwürdig aber notwendig.
Wohlleben-Verteidiger RA Klemke ergreift das Wort: „Haben Sie sich an der Sicherung der Asservate beteiligt?“
Q.: „Nein. Hatte nur Fotos.“
RA Klemke: „Haben Sie sich mal darüber Gedanken gemacht, warum Böhnhardt und Mundlos die Beute monatelang mit Banderolen …“ Götzl unterbricht und beanstandet die Frage.
Auch die Bundesanwaltschaft in Person von Oberstaatsanwalt Jochen Weingarten beanstandet die Frage.
RA Klemke versucht es noch einmal: „Sie haben sich Gedanken gemacht?“
Q.: „Ja. Hatte aber keine Antwort darauf.“
RA Klemke: „Das dachte ich mir.“
Gelächter im Saal.
RA Klemke: „Das Schwarzpulver in der Frühlingsstraße 26? War das kommerziell hergestellt?“
Q.: „Das muss im Gutachten stehen.“
RA Klemke: „Sie haben das also einfach übernommen?“
Q.: „Ich hatte meine Quellen.“
RA Klemke: „Welche Quellen für das Schwarzpulver?“
Q.: „Frei zugängliche Quellen eben.“
RA Klemke: „Welche?“
Q.: Ja eben frei zugängliche Quellen. Im Internet…“
RA Klemke: „Diese Quellen haben Sie sicher überprüft?“
Q.: „Wenn, dann der Techniker.“
RA Klemke: „Also eher nicht überprüft. Wie viele Quellen?“
Q.: „Weiß ich nicht.“
Nachdem Klemke die Kompetenz der Polizeibeamtin in Sachen Auswertung von Asservaten in Rekordzeit komplett demontiert hat, beendet Richter Götzl dieses unwürdige Schauspiel und entlässt die Zeugin. Fragen an sie hatte keiner mehr.
Der 32. Prozesstag am 06. August 2013 ist zugleich der letzte Verhandlungstag vor der Sommerpause, die mit dem 05. September 2013 endet. Am vorletzten Verhandlungstag war der allgemeine Tenor, dass am letzten Verhandlung vor der großen Pause das Interesse der Medien und Besucher sich in einem überschaubaren Rahmen halten wird, da lediglich ein Verhandlungstag angesetzt war und nicht wie sonst üblich drei Tage.
Ein Prozessbeobachter im Stress.
Aber weit gefehlt: Schon bei der Anfahrt über die Nymphenburger Straße in Richtung OLG München, war die geballte Präsenz der Medien schon von Weitem sichtbar. Satellitenübertragungswägen der deutschen und der internationalen Fernsehanstalten ohne Ende. Auch das ZDF hatte wieder das gigantisch große mobile Fernsehstudio aufgebaut. Gerade an diesem Tag hatte ich mich extra früh auf den Weg gemacht, um keine Zeugenaussage zu verpassen, dies hatte ich einem Kollegen aus Berlin versprochen, der sich die weite und teure Anreise wegen einem einzigen Tag ersparen wollte.
NSU-Prozess: ZDF-Sendezentrale auf der Nymphenburger Str. Foto: J. Pohl
31°C, kein Parkplatz in Sicht und die Uhr tickt.
Jeder Prozesstag beginnt um 09:30 Uhr. Um Punkt 09:00 bin ich mit dem Auto am OLG München angekommen, der Platz vor dem Haupteingang ist mit Medienvertretern und Prozessbeobachtern vollgepackt. Vor dem Eingang hat sich bereits eine lange Schlange gebildet. Mein Autothermometer zeigt 31°C Außentemperatur an. Die anschließende Parkplatzsuche nimmt normalerweise keine 10 Minuten in Anspruch. Aber nicht an diesem Tag. Heute sind besonders viele Einsatzwägen rund um das Gelände geparkt, die Pressevertreter belegen alle Parkplätze, die sonst frei sind.
Ein großes Opfer für die Preußen …
Schließlich finde ich doch noch einen Parkplatz. Manchmal muss man seine Grundüberzeugung über den Haufen werden, wenn es einer wichtigen Sache dient: Denn ich parke direkt vor der CSU-Parteizentrale. Hätte ich nicht versprochen, den Kollegen aus Berlin mit Informationen aus erster Hand zu versorgen, wäre ich vielleicht noch einmal um den Block gefahren. Aber was tut man nicht alles, um die bayerisch-preußischen Beziehungen zu pflegen?
Ohne Espresso geht nix. Auch wenn er von Franz-Josef (Strauß) ist.
Ohne mir vorher einen doppelten Espresso zu gönnen, habe ich noch nie einen Verhandlungstag besucht. Gleich neben meinem Parkplatz befindet sich ein gerade eben geöffnetes Restaurant. Die Wirtin hat mir einen vorzüglich gebrauten doppelten Espresso zum Mitnehmen gemacht. Offenbar hat sie gemerkt, dass ich in großer Eile bin. Als ich meinen Geldbeutel zückte, meinte sie nur: „Passt scho!“ Ich hab mich artig dafür bedankt, aber dennoch gleich klargestellt, dass ich trotzdem die CSU nicht wählen werde. Der Name des Restaurants neben der CSU-Parteizentrale lautet übrigens „Franz-Josef“. Mit dem Gedanken, dass unter Strauß vielleicht doch nicht alles schlecht war, begebe ich mit Espresso im Laufschritt Richtung Gerichtsgebäude.
35°C, eine lange Schlange und die Uhr tickt weiter…
Die Temperatur liegt jetzt mindestens bei 35°C. Um exakt 09:25 stehe ich vor dem Eingang für Prozessbeobachter am OLG München. In der Schlage vor mir stehen etwa 20 Personen, der freundliche Justizbeamte informiert uns, dass die Besuchertribüne inklusive Pressebereich bereits aus allen Nähten platzt. 10 Personen geben nach dieser Information sofort auf und verlassen das Gelände.
„Die wollten nur Zschäpe gucken.“
Warten … „36 Grad und es wird immer heißer“ singt ein sichtlich gut gelaunter Justizbeamter. Und nein, er wollte uns nicht damit ärgern. Weitere 5 Personen werden eingelassen. „Da sind 5 raus, die wollten nur Zschäpe gucken“, sagt der Beamte.
Wir restlichen 5 werden jetzt auch eingelassen, müssen aber hinter der Sicherheitskontrolle warten, bis jemand die Tribüne verlässt. „Wir wollen ja nicht, dass Sie da draußen gegrillt werden“, meint der Beamte. Der BR-Korrespondent und 2 weitere akkreditierte Journalisten mit dem begehrten gelben Ausweis verlassen den Saal. Mit einem weiteren Prozessbeobachter warte ich geduldig auf Einlass. Plötzlich kommt ein Pärchen mit ausgeprägtem sächsischen Dialekt die Treppe von der Besuchertribüne herunter, um die Toilette aufzusuchen. Ruck-Zuck öffnet ein Justizbeamter grinsend die Schranke zur Treppe: „Bitteschön! Wieder zwei Plätze frei geworden.“
Ein Logenplatz, der es in sich hat.
Auf der Tribüne angekommen, werde ich und der andere Prozessbeobachter von den oben diensthabenden Beamten zu den zwei freien Plätzen begleitet. Erste Reihe, genau in der Mitte! Mein Sitznachbar an der rechten Seite mustert mich missbilligend, ich ignoriere ihn und beginne mit meinen Notizen der 2. Zeugenvernehmung an diesem Prozesstag, die gerade in diesem Moment begonnen hat. Den ersten Zeugen habe ich leider verpasst.
Der Mord an Ismail Yaşar.
Die Aufzeichnungen beginnen also mit der Vernehmung der Zeugin Polizeiobermeisterin Sindy J. zum Mord an Ismail Yaşar. Yaşar wurde am 09. Juni 2005 in seinem Döner-Imbiss in der Scharrerstraße Nürnberg durch 5 Schüsse gegen 09:50 Uhr ermordet. Zum Tatzeitpunkt war Yaşar 50 Jahre alt. Beim Mord an Ismail Yaşar handelt es sich – nach dem heutigen offiziellen Ermittlungsstand – um den 6. Mordanschlag des NSU. Als dringend tatverdächtig gelten auch hier Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt.
Die Vernehmung der Polizeiobermeisterin J.
Nach der üblichen Zeugenbelehrung durch Richter Götzl fordert dieser die Zeugin J. auf zuerst frei über ihre Erinnerungen zu berichten. Die Polizeiobermeisterin sei an diesem Tag mit einem Kollegen auf Streifenfahrt gewesen, als sie informiert wurde, dass ein Mann in einer Döner-Bude in der Scharrerstraße ein Mann auf dem Boden liege. Der Mann sei blutüberströmt, so zitiert die Zeugin die erhaltene Information weiter.
Wir waren die ersten Polizisten am Tatort.
Mit ihrem Streifenwagen wären die Zeugin und ihr Kollege in der Nähe des Tatorts gewesen und seien deswegen die ersten Polizisten am Tatort gewesen, so die Zeugin J. Erst hätte sie sich selbst in den Imbiss hinein gebeugt und so das blutüberströmte Opfer gesehen. Da die Tür nicht versperrt gewesen sei, wäre ihr Kollege in den Döner-Imbiss hineingegangen. Die Zeugin wäre selbst nicht in den Imbiss gegangen. Kurz danach wäre der Notarzt gekommen und hätte nach der Untersuchung des Opfers gesagt, dass Ismail Yaşar „Ex“ ist.
Eine Anmerkung zum Verhalten der Presse.
Die Aussage der Zeugin J. hat zu einem verheerenden Presseecho geführt. Hier einige Beispiele:
Der Tagesspiegel vom 06.08.13:
„Der Kollege sei dann da reingegangen und habe festgestellt, „dass die Person ex ist“. Entgeisterte Blicke im Saal A 101 des Oberlandesgerichts München. […] Da wirkt das schnoddrige „ex“ wie eine makabre Anregung, bis zum September nicht zu vergessen, dass in diesem Prozess mehr zum Vorschein kommt als die Verbrechen einer rechtsextremen Terrorzelle.“ Quelle: >>
Spiegel-Online vom 06.08.13 zeigt sich besonders erschüttert:
„Eine gewisse Nüchternheit und Sachlichkeit ist sicher fester Bestandteil bei der Ermittlungsarbeit, Abgebrühtheit kann die Folge sein. Doch wenn eine 35 Jahre alte Polizeibeamtin über einen ermordeten Imbissbesitzer sagt: „Der Notarzt hat dann festgestellt, dass die Person ex ist“, dann sind das doch Momente, in denen man sich wünscht, einem Beamten gelänge es, der verbalen Verrohung Einhalt zu gebieten.“ Quelle: >>
Auch die Süddeutsche Zeitung vom 08.08.13 ist entsetzt:
„In dieser Woche erzählte eine Polizistin in lockerem Ton, wie sie zu einer Dönerbude fuhr, in der ein blutüberströmter Mann lag. Der Notarzt habe dann festgestellt, dass die Person „ex“ ist. Die Beamtin meinte „tot“, der Polizeijargon klang jedoch unangenehm nach „ex und hopp“. Quelle: >>
Dazu ein kurzer, persönlicher Kommentar:
„Die Person ist Ex“ ist eine absolut übliche Formulierung, die von professionell arbeitenden Personen, die immer wieder mit Verstorbenen zu tun haben tagtäglich verwendet wird. Diese Formulierung ist keinesfalls abwertend oder „schnoddrig“ gemeint. Das jemand „Ex“ ist hat auch überhaupt nichts mit „ex und hopp“ zu tun, wie die Süddeutsche Zeitung meint. Der Begriff „Ex“ ist die Kurzform von „Exitus letalis“, damit bezeichnet ein Arzt offiziell den tödlichen Ausgang einer Krankheit. Oder eben auch den tödlichen Ausgang einer Verletzung, so wie im Mordfall Yaşar der Tod durch mehrere Schussverletzungen.
Ich gehe davon aus, dass Ismail Yaşar nicht die erste Leiche ist, mit der die Zeugin konfrontiert wurde, vielleicht ist Yaşar auch nicht das erste Mordopfer, dass die Polizeibeamtin bis dahin gesehen hat. Beim Notarzt kann man mit Sicherheit davon ausgehen, dass er während seiner beruflichen Laufbahn mit vielen Verstorbenen zu tun hatte. Dabei handelt es sich normalerweise überwiegend um Leichen, die auf natürliche Weise verstorben sind, und zwar vom schwerstkranken Kleinkind über junge Erwachsene mit schweren Krankheiten bis zu hochbetagten Patienten, die unter ganz natürlichen Umständen versterben.
Der Notarzt, die Rettungsassistenten, das Krankenpflegepersonal hat aber im Gegensatz zu einer Streifenpolizistin auch mit dem Ableben von Personen nach Unfällen, nicht erfolgreichen Reanimationen nach beispielsweise Herzinfarkten jeden Alters zu tun. Auch um Mordopfer muss sich ein Notarzt kümmern, damit sind wir wieder bei der Polizeiobermeisterin: Ich gehe mal davon aus, dass die meisten meiner Leser noch nie eine Leiche gesehen haben. Ich hoffe, dass die wenigsten meiner Leser jemals erleben mussten, wie ein Kind nach einem Unfall trotz Reanimation stirbt.
„Dank“ meines eigentlichen Berufs musste ich alle diese Dinge schon erleben. Deswegen möchte ich den Notarzt und ausdrücklich auch die Zeugin J. wegen der Formulierung „die Person ist Ex“ in Schutz nehmen. Um so einen Beruf psychisch aushalten zu können, muss (!) man sich einen Schutzpanzer zu eigen machen, um nicht verrückt zu werden. Die Formulierung „Ex“ wird im Übrigen nur während der Kommunikation der professionellen Helfer verwendet. Es wird keinen Notarzt/ärztin, Rettungsassistenten/in, Krankenschwester oder Krankenpfleger geben, der diese Formulierung gegenüber den Angehörigen eines gerade verstorbenen Menschen verwendet.
Und noch ein Wort an die Presse:
Es stünde den akkreditierten Journalisten gut zu Gesicht, sich bei Formulierungen, die nicht im allgemeinen Sprachgebrauch verankert sind, sich über ihre Bedeutung und Ursprung zu informieren. Man nennt dies auch „Recherche“. Dass während der Berichterstattung zum NSU-Prozess die Recherche auf der Strecke bleibt, merke ich nach jedem Prozesstag, den ich besucht habe. Ich brauche normalerweise knappe 5 Minuten nach dem Ende eines Verhandlungstages, bis ich meinen Krimskrams an der Sicherheitsschleuse in Empfang genommen habe und mein Smartphone hochgefahren ist. Noch bevor meine Fotoausrüstung startklar ist, kann ich in den oben zitierten Zeitungen nachlesen, was noch vor 5 Minuten verhandelt wurde. Schnelligkeit ist faszinierend. Geschwindigkeit und Recherche dürfen sich aber nicht ausschließen. Gerade die „großen“ unter den Prozessberichterstattern haben gigantische Personalressourcen im Hintergrund zur Verfügung, die durchaus die Recherche während Berichterstattung übernehmen können. Schnell können wir Blogger auch, die Recherche müssen wir nach der Verhandlung machen. Also liebe Qualitätsmedien: Bitte mehr nachforschen. Sonst ist der Unterschied zwischen einem guten Blog und einem Bericht der „großen“, etablierten Medien nur noch minimal. Und genau das wollt ihr doch nicht, oder?
Der BMW, der offiziell existiert.
Anschließend hätte die Zeugin eine Frau befragt, die sich auf dem in der Nähe des Tatorts befindlichen Parkplatz der EDEKA aufhielt, befragt. Diese Frau hätte ihr gesagt, dass sie etwa 15 Minuten vorher „einen dumpfen Knall“ gehört habe. Der Leiter der EDEKA-Filiale hätte von einem BMW, der mit vier jungen Leuten besetzt war, berichtet. Er hätte sich noch daran erinnert dass das Autokennzeichen mit „LAU“ (Landkreis Nürnberger Land in Lauf an der Pegnitz). Dieser BMW sei etwa 20 Minuten später wieder am Imbiss vorbeigefahren. Dabei seien die Personalien der vier Insassen festgestellt worden, die aber zu keinem Verdachtsmoment zu einer Tatbeteiligung geführt hätte.
Richter Götzl will nun Informationen zur Person, der die Polizei verständigt hat. Der Mitteiler wäre vor Ort gewesen, er hätte auch häufig dort gegessen. Weil er Yaşar nicht gleich entdeckt habe, hätte er eine gewisse Zeit gewartet und sich dann in den Döner-Imbiss hineingebeugt. Erst so hätte er das Mordopfer Yaşar entdecken können. „Wenn man direkt vor dem Imbiss steht, konnte man das Opfer nicht sehen,“ so die Zeugin weiter.
Wieder einmal: Widersprüchliche Aussagen ein- und derselben Zeugin.
Götzl zitiert aus der ersten Vernehmung der Zeugin demnach hätte sie damals ausgesagt, dass der Mitteiler einmal in der Woche zum Döner-Imbiss gegangen wäre und sich um 10:15 Uhr einen Döner kaufen wolle.
„Dann wird das so gewesen sein, wenn es so im Sachverhalt steht“, antwortet die Zeugin.
Wie das Opfer gelegen sei, will Götzl jetzt von der Zeugin wissen. Yaşar habe hinter dem Tresen auf dem Boden gelegen, so die Zeugin. Über dem Kopf habe ein Arm schräg gelegen, Oberkörper und Kopf hätten in einer großen Blutlache gelegen, so die Zeugin weiter.
Der Bürostuhl: Keine Erinnerung, aber im alten Protokoll vermerkt.
Götzl fährt mit einem Vorhalt fort, nachdem die Zeugin J. von einem Bürostuhl berichtet hätte.
„Ich kann mich jetzt an keinen Bürostuhl erinnern, aber ich habe im Sachverhalt gelesen, dass auf der Sitzfläche ein Blutfleck war,“ antwortet die Zeugin.
Wortgefechte wegen widersprüchlichen Aussagen.
Auf diese Antwort der Zeugin entsteht ein kurzes, aber heftiges Wortgefecht zwischen Zschäpe-Verteidiger RA Heer und Richter Götzl. Der Grund sind die wiederholten Vorhaltungen aus den Ermittlungsakten, die sich häufig nicht mit den aktuellen Aussagen der Zeugen decken. Aber immer wieder dazu führen, dass die protokollierte Erstaussage in der aktuellen Verhandlung gilt.
Zschäpe-Verteidiger RA Wolfgang Heer – Foto: J. Pohl
Götzl blockt den Streit recht schnell ab und will näheres zu den am Tatort sichergestellten Patronenhülsen wissen.
„Ich hab eine Hülse am Toten gesehen, vielleicht auch eine Zweite,“ so die Zeugin.
Götzl: „Wo?“
Zeugin J.: „Bin mir nicht sicher, denke in Höhe Gesäß oder Rumpf.“
Götzl mit Vorhalt aus alter Ermittlungsakte: „Hülse in Höhe des Oberkörpers“
Götzl fragt weiter: „Waren Sie in der Döner-Bude?“
Zeugin J.: „Nein nur der Kollege. Ist dabei aus Versehen auf die Schürze getreten.“
Juristensprache: Geschädigter = Mordopfer
Götzl: „Was ist dann mit dem „Geschädigten“ geschehen?“ (Anm.: Damit ist der ermordete Ismail Yaşar gemeint)
Zeugin J.: „Kann ich nicht sagen, dann kam schon die Mordkommission.“
Götzl erwidert mit einem erneuten Vorhalt: „ASB und der Notarzt waren um 10:25 Uhr vor Ort.“
Die Zeugin bestätigt Götzl mit einem Kopfnicken.
Götzl fährt mit seinem Vorhalt fort: „Ein Sani hat eine Hülse aufgehoben und dann wieder hingelegt.“
„Ja, das stimmt. Er hat deswegen auch einen Anschiss bekommen,“ antwortet die Zeugin und erntet Gelächter im Saal.
Das Pärchen mit dem sächsischem Slang: Unterstützer von Wohlleben?
Offenbar sind in der Zwischenzeit wieder Sitzplätze auf der Tribüne frei geworden, denn mitten in der Verhandlung kommt in diesem Moment das am Anfang erwähnte Pärchen mit dem sächsischen Dialekt auf mich zu. Der weibliche Part baut sich vor meinem Sitzplatz direkt an der Glasscheibe zum Gerichtssaal auf und stellt mich zur Rede: „Also ich finde das eine Unverschämtheit von Ihnen, dass Sie sich auf unseren Platz setzen. Wir sitzen immerhin schon seit 07:30 hier. Und nur weil wir zum Pullern (sic!) mussten, sind unsere Plätze besetzt.“ Ich konnte nur kurz erwidern, dass mir dieser Platz von einem Justizbeamten zugewiesen wurde, dann wurden die beiden mit sanftem Druck von einem Beamten auf die hinteren Plätze verwiesen. Während die sächselnde Frau mich zurechtwies, tauschte der männliche Part mittels Handzeichen Nettigkeiten (?) mit Ralf Wohlleben aus.
„Ehefrau war mit den Nerven fertig.“
Götzl: „Hatten Sie am Tatort Kontakt zu anderen Personen?“
Zeugin J.: Ja, mit den vier Jugendlichen aus dem BMW und mit der Frau des Verstorbenen.“
Götzl: „In welcher Verfassung war die Frau?“
Zeugin J.: Sie war mit den Nerven ziemlich fertig und ist auch etwas lauter geworden.“
Richter Götzl bittet die Polizeiobermeisterin J. an den Richtertisch um eine Skizze des Tatorts zu erklären.
Damit ist die Befragung durch Richter Götzl beendet. Das Fragerecht hat nun der Nebenklage-Anwalt RA Narin.
Der BMW, der offiziell nicht existiert.
RA Narin: „Ich möchte noch mal auf den BMW eingehen.“
Zeugin J.: „Es wurde von einem dunklen BMW mit vier Jugendlichen berichtet. Nach 20 Minuten ist der BMW wieder am Tatort vorbei gefahren und wurde kontrolliert.“
RA Narin: „Ist jemals von einem bordeauxroten BMW-Kombi die Rede gewesen?“
Zeugin J.: „Nicht, dass ich wüsste …“
RA Narin erwidert mit einem Vorhalt aus einem Aktenvermerk: „Aus dem Vermerk geht hervor, dass es sich bei dem bordeauxroten BMW-Kombi um ein Zivilfahrzeug eines Polizisten handelt.“
Zeugin J.: „Das ist das erste Mal, dass ich davon höre.“
„Danke keine weiteren Fragen.“ Damit beendet RA Narin seine Befragung der Zeugin J.
Götzl entlässt die Zeugin um 10:45 Uhr, da sich keine weiteren Fragen anschließen.
RA Narin – Foto: J. Pohl
Was war los? Falsches Protokoll, oder Falschaussage der Zeugin?
Wieder bleibt ein fader Nachgeschmack nach einer Vernehmung einer Polizeibeamtin zurück. Warum kann sich die Polizeiobermeisterin J. ausgerechnet an den bordeauxroten BMW-Kombi nicht erinnern, nachdem sie während der Vernehmung ungewöhnlich oft erwähnt hatte, kurz vor ihrer Aussage den Sachverhaltsbericht gelesen zu haben.
Wieder kann es prinzipiell dazu nur zwei Schlussfolgerungen geben:
Entweder wird der bordeauxrote BMW-Kombi, mit dem immerhin ein Polizeibeamter zur ungefähren Tatzeit in unmittelbarer Nähe des Tatorts gesehen wurde, im Sachverhaltsbericht nicht erwähnt. Wenn diese Fahrzeug nicht erwähnt wurde, warum nicht?
Oder: Die Zeugin J. hat die Frage von RA Narin nicht wahrheitsgemäß beantwortet. Falls die Zeugin gelogen hat, warum hat sie die Unwahrheit gesagt?
Zschäpe schwer bewacht auf dem Weg vom Gericht in die U-Haft. – Foto: J. Pohl